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Von der Wirksamkeit des Betens
"Vor einigen Jahren stand ich eines Morgens mit der Absicht auf, mir als Vorbereitung eines Besuchs in London die Haare schneiden zu lassen. Der erste Brief,
den ich öffnete, machte mir jedoch klar, daß ich nicht nach London zu fahren brauchte. Also beschloß ich, auch das Haareschneiden aufzuschieben. Aber da begann in mir ein ganz unerklärliches leises Quengeln, fast
als sage eine Stimme: "Laß sie dir trotzdem schneiden. Geh und laß sie dir schneiden." Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich ging. Nun war mein Friseur ein Mitchrist und ein Mann mit vielen
Schwierigkeiten, dem mein Bruder und ich hin und wieder hatten helfen können. Sobald ich seine Ladentüre öffnete, sagte er: "Ach, ich habe darum gebetet, sie möchten heute kommen." Und in der Tat: Wäre ich
ein oder zwei Tage später zum Friseur gegangen - ich hätte ihm nichts genutzt.
Der Vorfall hat mich gepackt - und er hält mich immer noch fest. Selbstverständlich läßt sich ein ursächlicher Zusammenhang
zwischen dem Gebet des Friseurs und meinem Besuch nicht streng beweisen. Es könnte sich um Telepathie handeln. Es mag Zufall sein.
Ich habe am Krankenlager einer Frau gestanden, deren einer
Oberschenkelknochen vom Krebs zerfressen war und bei der die Krankheit auch in vielen anderen Knochen wucherte. Die Ärzte gaben ihr noch einige Monate; die Krankenschwestern (die es oft besser wissen) noch einige
Wochen. Ein Christ legte ihr die Hände auf und betete für sie. Ein Jahr später konnte die Patientin gehen (sogar bergauf über unebene Waldböden) und der Mann, der die letzte Röntgenaufnahme machte, sagte:
"Diese Knochen sind felsenfest. Es ist ein Wunder." Aber wiederum: Es gibt keinen strengen Beweis. Wie alle wahren Ärzte zugeben, ist Medizin keine exakte Wissenschaft. Wir brauchen nicht das
Übernatürliche zu bemühen, um ein Nichteintreffen ihrer Voraussagen zu erklären. Wer nicht will, braucht nicht an einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Gebet und der Heilung zu glauben.
Es erhebt sich die Frage: "Welche Art von Beweis würde die Wirksamkeit des Gebets zwingend dartun ?" Das, worum wir bitten, mag eintreffen. Wie aber soll man jemals wissen, daß es nicht ohnedies
eingetroffen wäre ? Selbst im Falle eines unzweifelhaft wunderbaren Ereignisses, folgt nicht zwingend, daß sich das Wunder dank der Gebete ereignet hat. Die Antwort muß lauten, daß ein zwingender empirischer Beweis
nicht möglich ist. Manches wird mit der lückenlosen Einheitlichkeit unserer Erfahrung bewiesen: Das Gravitationsgesetz wird durch die Erfahrung erhärtet, daß ihm nach unserer Erfahrung alle Körper ohne Ausnahme
genügen. Selbst wenn nun aber alles, worum die Leute beten, einträfe - was nicht der Fall ist - so würde das nicht die Wirksamkeit des Gebets im christlichen Sinne beweisen. Denn Beten heißt Bitten. Es gehört zum
Wesen einer Bitte, daß sie erfüllt werden kann oder auch nicht. Und wo ein unendlich weises Sein die Bitten endlicher und törichter Geschöpfe anhört, da wird es sie manchmal erfüllen und manchmal selbstverständlich
abweisen. Ausnahmsloser Erfolg der "Gebete" bewiese daher nicht den christlichen Glauben, sondern viel eher etwas wie Magie - eine Macht gewisser Menschen, den Lauf der Natur zu beeinflussen und in eine
Richtung zu zwängen.
Freilich enthält das Neue Testament Stellen, die auf den ersten Blick eine unweigerliche Erfüllung unserer Gebete zu versprechen scheinen. Aber das kann ihr eigentlicher Sinn nicht sein.
Denn im innersten Kern der Berichte stoßen wir auf ein krasses Beispiel für das Gegenteil. In Gethsemane betete der heiligste aller Bittsteller dreimal, ein gewisser Kelch möge an ihm vorbeigehen. Es geschieht
nicht. Danach hat eine Vorstellung ausgespielt, die das Gebet als eine Art unfehlbaren Dreh darstellt. Anderes wird nicht mit der schlichten Erfahrung bewiesen, sondern mit jenen künstlich herbeigeführten
Erfahrungen, die wir Experimente nennen. Könnte man solche mit dem Gebet anstellen ? Ich will den Eingang übergehen, daß kein Christ an einem solchen Unterfangen teilnehmen dürfte, weil es ihm verboten ist:
"Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen." Verboten oder nicht - ist die Sache überhaupt möglich ? Ich habe den Vorschlag machen hören, eine Gruppe von Leuten - je zahlreicher, um so besser -
solle übereinkommen, während sechs Wochen nach besten Kräften für alle Patienten im Spital A zu beten und für keinen im Spital B. Dann werde man die Ergebnisse vergleichen und sehen, ob A mehr Heilungen und weniger
Todesfälle zu verzeichnen habe. Und ich nehme an, man würde das Experiment an verschiedenen Orten und´zu verschiedenen Zeiten wiederholen, um den Einfluß irrelevanter Faktoren auszuschließen.
Die
Schwierigkeit ist die, daß ich nicht einsehe, wie unter solchen Umständen ein echtes Gebet zustande kommen kann. Gebete sprechen heißt noch nicht beten; sonst würde eine Gruppe entsprechend gedrillter Papageien in
unserem Experiment den gleichen Sinn tun. Man kann nicht um die Genesung Kranker beten, ohne als Ziel deren Genesung im Sinn zu haben. Es gibt aber keinen Grund, die Genesung der Patienten im Spital A zu wünschen
und keine eines anderen. Dergleichen "Gebet" geschieht nicht, um die Kranken von ihren Leiden zu erlösen; es geschieht, um herauszufinden, was dabei herauskommt. Die wahre Absicht und die angebliche
Meinung des Gebets klaffen auseinander. Mit anderen Worten: Was immer Zähne, Zunge und Knie tun mögen: es ist kein Gebet.
Ein empirischer Beweis und eine empirische Widerlegung sind also unerreichbar. Doch
wird dieser Schluß weniger niederdrückend scheinen, wenn wir uns daran erinnern, daß das Gebet eine Bitte ist und wenn wir es mit anderen ähnlichen Fällen vergleichen. Wir richten Bitten nicht nur an Gott, sondern
auch an unsere Mitmenschen: Wir bitten um das Salz, wir bitten um eine Lohnerhöhung, wir bitten einen Freund, während unserer Ferienabwesenheit die Katze zu füttern oder wir bitten eine Frau, uns zu heiraten.
Manchmal bekommen wir das, worum wir bitten und manchmal bekommen wir es nicht. Bekommen wir es aber, so ist es längst nicht so leicht, wie man annehmen möchte, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Bitte und
Bekommen zu beweisen. Dein Nachbar ist vielleicht so menschlich, daß er deine Katze auch dann nicht hätte verhungern lassen, wenn du vergessen hättest, eine Abmachung zu treffen. Dein Arbeitgeber hatte
möglicherweise sowieso im Sinn, dich durch eine Lohnaufbesserung für seinen Betrieb zu sichern. Was nun die Dame betrifft, die einwilligt, dich zu heiraten - bist du so sicher, daß sie nicht sowieso bereits dazu
entschlossen war ? Bis zu einem gewissen Grad überschattet also der gleiche Zweifel, der die verursachende Wirksamkeit unserer Gebete zu Gott verdunkelt, auch unsere Bitten, die wir an Menschen richten. Was immer
wir bekommen, hätten wir vielleicht ohnedies bekommen. Aber nur, wie ich schon sagte, bis zu einem gewissen Grad. Unser Nachbar, unser Vorgesetzter oder unsere Gattin sagen uns vielleicht, sie hätten auf unsere
Bitte hin gehandelt und wir kennen sie vielleicht gut genug, um die Gewißheit zu spüren, daß sie - erstens - sagen, was sie selbst für wahr halten, und daß sie - zweitens - ihre eigenen Beweggründe genügend kennen,
um damit recht zu haben. Aber man beachte, daß wir in diesem Falle unsere Gewißheit nicht einer wissenschaftlichen Methode verdanken. Wir versuchen kein Kontroll-Experiment. Unsere Gewißheit ist hier der Art nach
völlig verschieden von wissenschaftlicher Erkenntnis. Sie entspringt keinen Beweisen, sondern unserer Beziehung zur anderen Person.
Unsere Gewißheit - falls wir zur Gewißheit gelangen - daß Gott unsere Gebete
stets hört und manchmal auch erfüllt und daß Erfüllungen keine bloßen Zufälle sind, kann nur auf ähnliche Weise entstehen. Es kommt gar nicht in Frage, daß wir über Erfolge und Fehlschläge Buch führen und zu
entscheiden versuchen, ob die Erfolge zu zahlreich sind, als daß sie durch den Zufall erklärt werden könnten. Wer einen Menschen am besten kennt, weiß am besten zu sagen, ob dieser aufgrund der Bitte tat, worum er
gebeten wurde. Ich meine, wer Gott am besten kennt, wird am besten zu sagen wissen, ob er mich zum Friseur geschickt hat, weil der Friseur darum gebetet hatte.
Denn bisher haben wir die ganze Frage auf
falsche Weise und auf falscher Ebene angepackt. Die bloße Frage: "Ist Beten wirksam ?" bringt uns von Anfang an eine falsche Geistesverfassung. "Wirksam" - als ob es sich um Magie oder um eine
Maschine handelt, um etwas das "funktioniert".... Das Gebet ist entweder eine bloße Selbsttäuschung oder es ist ein persönlicher Kontakt zwischen embryonalen, unvollständigen Personen (uns selbst) und
der vollkommenen konkreten Person Gottes.
Das Gebet im Sinne einer Bitte um etwas bildet nur einen kleinen Teil des Gebets überhaupt: Bekenntnis und Buße sind seine Schwelle, Anbetung sein Heiligtum,
Gegenwart Gottes sein Brot und Wein. In ihm zeigt sich uns Gott. Daß Er Gebete erhört, ist eine Folge - und nicht unbedingt die wichtigste - dieser Offenbarung. Was Er tut, erfährt man aus dem, was Er
ist. Trotzdem ist unser Bittgebet sowohl erlaubt als auch befohlen: "Gib uns heute unser tägliches Brot."
Und es stellt ohne Zweifel ein theoretisches Problem dar. Ist es glaubhaft, daß Gott Sein
Handeln jemals nach menschlichen Vorschlägen tatsächlich abändert ? Denn unendliche Weisheit braucht sich nicht sagen zu lassen, was das Beste sei und unendliche Güte braucht zu dessen Ausführung nicht gedrängt zu
werden. Aber Gott bedarf auch nicht der Hilfe all der endlichen - lebendigen und leblosen - Werkzeuge. Wenn Er wollte, könnte Er unseren Leib auch ohne Nahrung erneuern oder uns ohne die Mittlerschaft der Bauern,
Bäcker und Metzger nähren, uns ohne die Hilfe der Gelehrten lehren und die Heiden ohne Missionare bekehren. Stattdessen erlaubt Er den Böden, dem Wetter und den Tieren, den Muskeln, dem Geist und dem Willen des
Menschen bei der Ausführung seines Willens mitzuwirken. "Gott hat das Gebet angeordnet" sagt der französische Mathematiker Blaise Pascal, "um seinen Geschöpfen die Würde der Ursächlichkeit
zu geben."
Aber nicht nur das Gebet. Wann immer wir handeln, verleiht Er uns diese Würde. Daß mein Gebet den Lauf der Ereignisse beeinflussen soll, ist eigentlich nicht befremdlicher - und auch
nicht weniger befremdlich -, als daß es meine übrigen Handlungen tun. Weder berät noch ändert das Gebet den göttlichen Geist, d.h. dessen allumfassende Absicht. Aber diese Absicht verwirklicht sich auf verschiedene
Weisen - je nach dem Handeln der Geschöpfe - wozu auch das Beten gehört. Denn nichts scheint Gott selbst zu tun, was Er irgendwie seinen Geschöpfen übertragen kann. Er befiehlt uns vielmehr, langsam und
stümperhaft zu tun, was Er vollkommen und im Augenblick tun könnte. Er läßt es zu, daß wir versagen oder daß wir versäumen, was er von uns erwartet. Vielleicht sind wir uns des "Problems" nicht voll
bewußt, das sich ergibt, wenn endliche freie Willen befähigt werden, mit der Allmacht zu ko-existieren. Dies scheint in jedem Augenblick eine Art Abdankung Gottes mit sich zu bringen. Wir sind nicht bloße Empfänger
oder Zuschauer; wir genießen das Vorrecht, im Spiel mitzutun, oder sind gezwungen, an der Arbeit mitzuwirken und "unsere Dreizäckchen zu schwingen".
Ist das die Art, wie Schöpfung geschieht - und
sich in diesem erstaunlichen Vorgang ganz einfach vor unseren Augen ereignet ? Auf diese Weise macht Gott etwas aus nichts. So scheint es wenigstens mir. Doch kann, was ich hier vorgelegt habe, bestenfalls ein
Denkmodell oder ein Symbol sein. Alles, was wir über solche Dinge sagen können, muß bloß analog und gleichnishaft bleiben. Unsere Fähigkeiten vermögen die Wirklichkeit nicht zu fassen. Aber wir können wenigstens
versuchen, schlechte Analogien und schlechte Gleichnisse auszuschalten. Das Gebet ist keine Maschine. Es ist keine Magie. Es ist kein Rat, der Gott gegeben würde. Wenn wir beten, darf unser Tun - sowenig wie all
unser übriges Handeln - nie aus der anhaltenden Tat Gottes herausgelöst werden. Noch schlimmer wäre es, wollte man sich jene, deren Gebet erhört wird, als eine Art Günstlinge vorstellen, als Leute, die Einfluß
bei Hofe haben. Das abgewiesene Gebet Christi in Gethsemane gibt darauf hinreichend Antwort.
Indes sollten sich kleine Leute wie Du und ich, wenn unsere Gebete manchmal Erhörung finden, vor hastigen Schlüssen
zu unseren Gunsten hüten. Wären wir stärker, würden wir vielleicht weniger zart behandelt. Wären wir mutiger, würden wir vielleicht mit geringerer Hilfe ausgesandt, in der großen Schlacht einen weit verzweifelteren
Posten zu verteidigen.”
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