|
Die Herkunft des Wortes "evangelikal"
Das Wort "evangelikal" ist im deutschsprachigen Raum ein relativ junger Ausdruck, ist jedoch mittlerweile in der Öffentlichkeit zu einem fest etablierten
Begriff für "biblisches Christentum" geworden. Der Ausdruck "evangelikal" ist eng verwandt mit dem Wort "evangelisch". Beide Ausdrücke beziehen sich auf das Evangelium
(= griechisch für "Frohe Botschaft") - also auf die frohe Botschaft des Neuen Testaments, daß Jesus unsere Strafe am Kreuz getragen hat.
Dem Wortsinne nach bedeuten die Begriffe evangelisch / evangelikal
insofern beide gleichermaßen "dem Evangelium gemäß".
1) Zum Begriff "evangelisch"
:
Ursprünglich hatte "evangelisch" in etwa dieselbe Bedeutung, die heute das Wort "evangelikal" hat. Das deutsche Wort "evangelisch" wurde im 18. Jahrhundert parallel zu "pietistisch" oder "erwecklich" für einen ganzheitlich gelebten Glauben aus dem Evangelium gebraucht, damals im Gegensatz zum dogmatisch-verkopft erscheinenden Glauben der Lutherischen bzw. Reformierten Kirche.
Im 18.Jahrhundert war "evangelisch" insofern keine Sammelbezeichnung für die protestantischen Kirchen, sondern für eine biblische Erweckungsbewegung innerhalb dieser Kirchen.
Erst mit den
Diskussionen um die
Vereinigung von Reformierten und Lutheranern in der preußischen Union von 1817 wurde "evangelisch" im 19. Jahrhundert mehr und mehr als ein verbindender Ausdruck für die sich auf die Reformation gründenden Kirchen verwendet. Die in den damals preußischen Gebieten aus der Vereinigung (= Union) von Lutheranern und Reformierten hervorgegangenen "unierten" Landeskirchen nannten sich nur noch "evangelisch".
Heute wird "evangelisch" überwiegend als ein Gegenbegriff zu "römisch-katholisch" gebraucht. Zumindest innerhalb des deutschsprachigen Raumes ist "evangelisch" insofern zu einem Synonym
für "protestantisch" geworden. Auch andere protestantische Kirchen nennen sich heute evangelisch - z.B. bezeichnen sich Methodisten, Baptisten, Pfingstler u.a. als "evangelische Freikirchen".
Für
seine ursprüngliche Bedeutung "erwecklich, bibelgemäß" wurde das Wort "evangelisch" allerdings aus zwei Gründen untauglich: Zum einen wurde es mehr und mehr eine Bezeichnung für die
"evangelischen" Landeskirchen. Zum anderen wurde das Wort "evangelisch" im 20. Jahrhundert zunehmend mit dem Pluralismus und der glaubensmäßigen Beliebigkeit der Landeskirchen in Verbindung gebracht.
"Evangelisch" bezeichnet daher heute in der Art eines Verwaltungsbegriffs jeden, der als Baby getauft wurde und Kirchensteuer zahlt. Über den persönlichen Glauben sagt das Wort indessen nichts mehr aus - es gibt
in den Landeskirchen viele "evangelische" Agnostiker und Atheisten.
Infolge dieser zweifachen Bedeutungsverschiebung des Wortes "evangelisch" mußte für die biblischen Erweckungsbewegungen und gelebtes
Christentum ein neuer Begriff gefunden werden. Adaptiert wurde dafür im 20. Jahrhundert mehr und mehr der Begriff "evangelikal".
2) Zum Begriff “evangelikal”:
Das im internationalen Raum geläufige englische Wort "evangelical" und das davon abgeleitete "evangelikal" haben die ursprüngliche Bedeutung von "evangelisch" als "dem Evangelium gemäß" weitgehend beibehalten.
In den fünfziger Jahren diente das Wort in den USA auch zur Abgrenzung von der sich immer separatistischer artikulierenden fundamentalistischen Bewegung. Als "evangelical" wurde über Konfessionsgrenzen hinweg ein
Christentum bezeichnet, das sich auf die Bibel als das Wort Gottes beruft, sich aber nicht in Lehrtraditionen einmauert, sondern bereit war, von einer in der Bibel verankerten Position aus und motiviert durch das missionarische
Anliegen das Gespräch mit anderen theologischen Positionen aufzunehmen.
Ab den fünfziger Jahren und dem großen Aufschwung der bibelorientierten, missionarischen Erweckungsbewegungen verband sich der Begriff
“evangelikal” mehr und mehr mit biblischem Christentum. Fortan redete man zunehmend von der "evangelikalen" Bewegung. Diese sah sich in der Tradition der früheren Erweckungsbewegungen und fand damals einen
öffentlichen Ausdruck u.a. in der US-Zeitschrift "Christianity Today" (www.christianitytoday.com), den Großevangelisationen Billy Grahams oder dem Fuller Theological Seminary in Pasadena/Kalifornien. Der Lausanner Kongreß 1974, angeregt von Billy Graham
und in der theologischen
Ausrichtung prägend bestimmt durch John Stott, stellte einen wesentlichen Markstein und Impuls zur inhaltlichen und organisatorischen Profilierung der weltweiten evangelikalen Bewegung nach innen und außen dar. Das Wort
"evangelikal" hat sich gegenüber konkurrierenden Begriffen wie z.B. "bibeltreu", "pietistisch" etc. wohl durchgesetzt, weil es schon vom Wort her die Verbindung zum Evangelium, d.h. zur Bibel, klarstellt. Hinzu kommt, daß der Begriff international verbreitet ist und so auch die weltweite Verbundenheit und innere Einheit der Evangelikalen verdeutlicht.
Manche behaupten, daß der sprachliche Anklang zu "radikal" auch eine Rolle gespielt haben mag. Sozusagen schon vom Wort her eine Mischung aus “evangelisch” und “radikal”. Ich kann damit gut leben: Radikale
Nachfolge Jesu ist nichts Verkehrtes, sondern genau das, worum es geht - denn wer von uns ist wohl so radikal wie Jesus?
Die Evangelikalen stellen heute weltweit etwa ein Drittel aller Christen mit stark wachsender
Tendenz - allerdings ist der Begriff "evangelikal" nicht für alle von ihnen zur Selbstbezeichnung gebräuchlich. Zu
beachten ist nämlich, daß der Begriff "evangelikal" auch heute noch vor allem der innerchristlichen Abgrenzung von unbiblischen Theologien (z.B. der "historisch-kritischen" Theologie) dient. Die meisten Evangelikalen empfinden ihren Glauben nicht als "evangelikales" Christentum, sondern schlicht als
DAS Christentum.
Zum Beispiel ist wohl die Mehrzahl der christlichen Seiten im Internet evangelikal. Aber wohl auf 99 % der evangelikalen Internetseiten fällt der Begriff "evangelikal" überhaupt nicht -
sondern es wird z.B. ganz selbstverständlich von einer "christlichen" Seite gesprochen.
Ingmar
ZURÜCK ZUR ÜBERSICHT
|