Inhaltliche Auseinandersetzung mit den Theorien der Bibelkritiker


1.Korinther 1,18: “Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.”

Ich könnte mir vorstellen, daß mancher, der bislang der vermeintlichen “Wissenschaftlichkeit” der historisch-kritischen Theologie Beachtung geschenkt hat, bei der Darstellung ihrer Theorien entsetzt sein wird über das Fehlen jeder objektiven Grundlage und das Durcheinander einander diametral widersprechender Meinungen

Zum Hintergrund dieser Theologie sollte man wissen, daß die zentralen Vorurteile der Bibelkritiker auf der Grundlage philosophischer Annahmen in der Zeit vor der modernen Archäologie aufgestellt wurden und aus heutiger Sicht vor allem auf der Unkenntnis von historischen Fakten beruhen. So fußen beispielsweise viele Grundannahmen zum Neuen Testament auf der im 19. Jahrhundert aufgestellten Behauptung, daß die Evangelien und Briefe nicht von den Jüngern Jesu stammen und erst im 2. Jhdt von der Urgemeinde aufgeschrieben und/oder zusammengestellt worden seien. Durch Archäologie, Text- und Sprachforschung ist heute zwar nachgewiesen, daß die Texte des Neuen Testaments tatsächlich aus der Zeit der Augenzeugen Jesu stammen und es keinen rational begründbaren Zweifel an der Verfasserschaft der Jünger gibt, doch werden die Theorien der Bibelkritiker trotzdem weiter vertreten, da sich die Behauptungen von ihrer realen Grundlage längst gelöst haben.

Zu der intellektuellen Fragwürdigkeit kommt noch hinzu, daß die historisch-kritische Theologie das Produkt antichristlicher Ideologien ist und weltanschaulich von einem quasi atheistischen Ansatz ausgeht. Was sollte aus diesem Ansatz denn anderes erwachsen als der geistliche Niedergang und Verfall, der überall dort herrscht, wo die historisch-kritische Theologie akzeptiert wurde?

Matthäus 7,16: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen?”


INHALT:

1) Die Bibelkritik am Alten Testament

2) Die Bibelkritik am Neuen Testament




1) Die Bibelkritik am Alten Testament

a) Was ist Bibelkritik?

Schon solange es Bibelbücher gibt, gibt es auch Kritik am lnhalt und Umfang der Heiligen Schrift; so z.B. die Einschränkung des Kanons durch die Sadduzäer und Samariter und später bei Marcion. Als der Streit um den Kanon schließlich beigelegt und der Kanon festgelegt war, entbrannte ein neuer Streit an der Frage, was nun in diesem Kanon wesentlich und was unglaubwürdig oder unwichtig war. Jetzt ging es dicht mehr um den Umfang, sondern um die historische und dogmatische Autorität des Kanons.

In diesem Zusammenhang müssen zwei Begriffe auseinandergehalten werden:

(1) Die
Textkritik, die sich mir der Festlegung der richtigen Worte des ursprünglichen Bibeltextes       beschäftigt - eine Wissenschaft, die wirklich von Nutzen ist und uns heute die Sicherheit gibt,             den Originaltext der Bibel in Händen zu haben.

(2) Die
Bibelkritik, die sich mit dem lnhalt des Textes auf Grund des Wesens, der Form und des Themas der verschiedenen Bücher der Bibel befaßt. Dabei berücksichtigt sie Angaben über die Umstände der Autoren und Empfänger der Bücher. Die Themen, mit denen sich diese Bibelkritik beschäftigt, sind Fragen der Glaubwürdigkeit, der Echtheit, der lntegrität und der literarischen Form der verschiedenen Schriften, die zusammen die Bibel bilden. An sich könnte ein solches Studium eine gewisse Objektivität wahren, aber das Urteilen über das Wort Gottes und das Anzweifeln der Inspiration kann eigentlich zu nichts anderem als zu einem Trugschluß führen. Die Geschichte hat das dann auch deutlich bewiesen.


b) Die Quellenscheidungstheorie

Der Ursprung der heute noch in vielen Varianten vertretenen “Quellenscheidungstheorie” liegt im frühen 18. Jahrhundert. Der erste, der in biblischen Texten verschiedene Quellen zu unterscheiden versuchte (d.h. verschiedene Schriften, die erst später zu den verschiedenen Büchern der Bibel zusammengestellt worden sein sollen), war H. B. Witter (1711), der in 1. Mose 1-3 zwei Quellen zu erkennen meinte, die durch einen Unterschied im Namen Gottes (“Jahwe” und “Elohim”) gekenn- zeichnet seien.
J. Astruc (1753) meinte, in 1. Mose sogar drei Quellen unterscheiden zu können, die von Mose zusammengestellt wurden und später ganz verschmolzen sein sollen zu dem heutigen Buch Genesis. Auch Astruc wies als Kennzeichen für diese unterschiedlichen Quellen genau wie Witter vor allem auf die verschiedenen Gottesnamen in 1. Mose hin, die angeblich für verschiedene Verfasser stehen.

Diese Behauptung wurde die Basis der Quellenscheidungstheorie, deren neue Linie von J. G. Eichhorn (1780-83) bestimmt wurde. Er unterteilte 1. Mose in den „Jahwisten“ (J), die Quelle, die den Namen Jahwe gebrauchte, und den „Elohisten“ (E), die Quelle, die den Namen Elohim (Götter) benutzte. Er führte auch neue Kriterien ein, wie „Parallelgeschichten“ und „Duplikate“ (z.B. die „zwei Geschichten“ in der Sintflutgeschichte).
Diese subjektiven Kriterien führten neben der Quellenscheidungstheorie schon bald zu einer sog.„Fragmententheorie“, die unzählige Quellen im 1. Buch Mose „entdeckte“ (K. D. Ilgen, A. Geddes, J. Vater; ca. 1800). Zu dieser Gruppe gehört auch der bekannte Theologe W.M.L. de Wette, der außerdem die ganze Religionsgeschichte lsraels strikt evolutionistisch auffaßte und eine ganz neue QueIle D (von Deuteronomium) vorstellte (sie würde aus dem späten 7. Jhdt. v. Chr. stammen), um die Entstehung des Buches Deuteronomium (5. Buch Mose) zu erklären.

Die Fragmententheorie wurde von H. Ewald (1823) verworfen und durch eine "Ergänzungstheorie“ ersetzt, wobei er von einer elohistischen „Grundschrift“ ausging, die allmählich durch Teile späterer Quellen ergänzt worden sei. lm Jahre 1840 arbeitete er dieses dann zu einer „Kristallisationstheorie“ aus, bei der er davon ausging, daß alle Verfasser, die hintereinander Beiträge zu den Mosebüchern lieferten, gleichzeitig das ganze zur Verfügung stehende Material überarbeiteten.

Im Jahr 1853 legte H. Hupveldt den Grund für die moderne Quellenscheidungstheorie, indem er behauptete, daß die Jahwistenteile (J) in 1. Mose keine Ergänzung waren, sondern ursprünglich ein eigenes Schriftstück gebildet hätten; weiter meinte er, daß die elohistische „Grundschrift“ (E) nicht eine, sondem die Zusammensetzung zweier Schriften (E1 und E2) war; ferner, daß diese drei Dokumente von einem Überarbeiter zu den heutigen 5 Büchern Mose zusammengestelIt wurden; und schließlich, daß D (Deuteronomium) in der Tat einer ganz anderen Quelle entsprang. Die E1-Quelle wurde später P (Priesterkodex) genannt und E2 blieb E. Die chronologische Entstehungsordnung der vier Quellen war nach Meinung Hupveldts: P-E-J-D.
Dies wurde von E. Reuss und seinem Schüler K. H. Graf (1866) bezweifelt, sie meinten, daß P nicht das älteste, sondern vielmehr das jüngste Dokument sei. In dieser Meinung von dem Holländer
A. Kuenen (1869) unterstützt, wurde die Reihenfolge der 4 Quellen wie folgt festgelegt: J-E-D-P. Kuenen ging es vor allem um die evolutionistische Rekonstruktion der Geschichte Israels. Hierin folgte ihm auch der bedeutendste Vertreter der Quellenscheidungstheorie: J. Wellbausch (1876-78). Dieser fügte keine neuen Elemente hinzu, sondern überprüfte und formulierte die Theorie von Graf und Kuenen und gab ihr die klassische Form, durch die sie in Windeseile die Alttestament-Studien Europas und später auch Amerikas eroberte. Er „datierte“ J auf ca. 850 v. Chr. und E auf ca. 750 v. Chr.; um 650 v. Chr. sollte daraus eine zusammenhängende Geschichte erstellt worden sein: JE. Während der Erweckung unter Josia um 621 v. Chr. solIte D zusammengestellt worden sein (vgl
2. Chr. 34,14-33) und schließlich sei P in der Zeit zwischen Hesekiel und Esra allmählich herangewachsen.

Bereits in diesem Stadium entdeckt man einige bemerkenswerte Widersprüche. Ein unterschied- licher Gottesname soll angeblich auf verschiedene Quellen hinweisen (Astruc, Eichhorn); doch gibt es unterschiedliche Quellen mit demselben Gottesnamen, nämlich P und E (Hupveldt), während E sich in Thematik, Stil und dem Wortschatz oft kaum von J. unterscheidet. Natürlich ist J jünger als E (sagen alle Kritiker außer Graf), denn Jahwe sei ein späterer Name für Gott als Elohim. Aber nein, J sei in Wirklichkeit älter als E, sagen Kuenen und Wellhausen. P sei der Elohist, der sich am meisten in Thematik und Stil von J unterscheidet, also müsse P das älteste Dokument sein, sagen die älteren Kritiker; aber nein, P sei der jüngste von allen, denn das passe besser in die Evolutionslehre über die Entwicklung des jüdischen Gottesdienstes vom primitiven Polytheismus bis zu dem von Priestern beherrschten Monotheismus. Schon im 19. Jhdt. wurden diese Spekulationen von W. H. Green (1895 bis 1896) zurückgewiesen. Er zeigte auf, wie wenig die Quellenscheidungs- theorie mit den tatsächlichen Angaben der Bibel übereinstimmt.

Die Quellenscheidungstheorie hatte sich aber schon einen sehr festen Stand erobert. K. Budde und R. Smend (1912) teilten J in zwei Quellen: J1 und J2. W. Eichrodt (1916) und G. Eissfeldt (1922) unterschieden in J eine „Laienquelle“ (L), in etwa mit J1 abereinstimmend, die zur Zeit Elias entstanden und auch in Richter und Samuel „hineingekommen“ sein soll. Diese L ähnelt in etwa K (einer „kenitischen“ Quelle), die von J. Morgenstern (1927) herausgestellt wurde, und R. H. Pfeiffer (1941) kam mir einem S-Dokument (von „Seir“), das nach seiner Meinung sowohl im J als auch in den E-Teilen von 1. Mose vorkam. So wurde das bekannte JEDP-Schema noch um L, K und S ergänzt, die aber nur wenig Anerkennung fanden.

Die Tendenz der Theologen des 20. Jhdts. ging nun dahin, die Quellenscheidungstheorie ganz oder teilweise durch wesentlich radikalere Theorien zu ersetzen. Ein Teil der Diskussion betraf das D-Dokument: R. H. Kenneth (1920) und G. Hölscher (1922) betrachteten D als viel jünger als die Zeit Josias und kamen dadurch zu der Auffassung, daß das Gesetzbuch, das in dieser Zelt im Tempel gefunden wurde, nicht Deuteronomium (5. Buch Mose) sein konnte. M. Kegel (1919), A. C. Welch (1924) and E. Robertson (1936-1944) hielten jedoch an der Auffassung fest, daß D viel alter sei als Josias Zeit. Noch einschneidender war die Kritik von M. Löhr (1924), der das Vorhandensein einer P-Quelle bestritt und meinte, daß der Pentateuch von Esra zusammengestellt wurde anhand von allerlei geschriebenem Material, das nicht mit J-und E-Teilen und dergleichen identifiziert werden könne. Ebenso verwarfen P. Volz und W. Rudolph (1933) eine E-Quelle und kehrten zurück zu einer Art „Ergänzungstheorie“.


c) Alternative radikale Theorien

Die Theologen, die im Grunde ganz neue Schulen der Pentateuchkritik gründeten, gingen mir ihrer Kritik am weitesten. Neben der Quellenscheidungstheorie entstanden so vor allem die „Formgeschichte“ und die „Oraltraditionalisten“ („Uppsala-Schule“) Die Gründer der Formgeschichte waren H. Gunkel (ca. 1900) und H. Gressmann (ca. 1920). Auch ihre Schule lehrte, daß der Pentateuch das Produkt einer Zusammenstellung (Kompilation) war, daß es aber über die ältesten Phasen nichts zu sagen gibt.
Sie verwarf die Theorien zu den JEDP-Quellen und meinten, daß man höchstens versuchen könne, im Pentateuch die mündlichen Überlieferungen zu erkennen, auf die die Schriften zurückzuführen seien. Man müsse daher bestimmte „Gattungen“ unterscheiden: Literarische Genres (Gattungen), die jede für sich einen kennzeichnenden „Sitz im Leben“ (Lebenssituation) aufwiesen. Eines der wichtigsten Hilfsmittel dabei war die religionsgeschichtliche Forschung, die sich auf parallele Religionsformen und Literatur von Israels alten Nachbarvölkern richtete, vor allem auf die Ägypter und auf Mesopotamien, wo „Gattungen“ und „der Sitz im Leben“ deutlicher zu unterscheiden wären. So sollte nach dieser Ansicht das 1. Buch Mose in Wirklichkeit eine Sammlung von „Legenden“ sein, die in einer ziemlich abgeänderten mündlichen Form überliefert und erst kurz vor oder nach der babylonischen Gefangenschaft schriftlich niedergelegt sein sollten.

Eigentlich hat Gunkel uns einen großen Dienst erwiesen, indem er die Unfundiertheit und das Gekünstelte an der Quellentheorie deutlich aufzeigte. Aber leider war seine Theorie noch schlechter; sie war nämlich eine grobe Mißachtung der alten und hohen literarischen Kultur Israels, wie wir noch sehen werden.

Unsere spätere Kenntnis der antiken Schreibkunst und Literatur hat im Grunde gezielt mit der Formgeschichte abgerechnet. Dasselbe gilt für die Oraltraditionalisten der Uppsala-Schule, die die Quellenscheidungstheorie ebenfalls radikal verwarfen und die Bedeutung der mündlichen Überlieferung noch mehr betonten als Gunkel und die Formkritiker. Manche behaupteten sogar, wenn es um die Überlieferung von historischem Material ginge, sei die mündliche Überlieferung im Orient der Antike wichtiger als das Schreiben. lhrer Meinung nach müßten wir also nicht nach geschriebenen Quellen suchen, sondern nach Einheiten „oraler Traditionen“ (mündlichen Überlieferungen), nach „Traditionskreisen“ und verschiedenen „Schulen“ innerhalb dieser Kreise. Diese Linie wurde zuerst von J. Pedersen (1931) entwickelt und von L. Engnell (1954) ausgearbeitet. Sie versuchten ebenfalls, das Material in literarische „Gattungen“ einzuteilen und die Bedeutung des „Sitzes im Leben“ zu betonen. Engnell unterschied zwei fundamentale Überlieferungsquellen für den Pentateuch: Die eine erstrecke sich von 1.- 4. Mose und weise auf eine „priesterliche“ Schule hin (daher „P“; die andere erstrecke sich von 5. Mose bis 2. Könige - die „deuteronomische“ Schule (daher „D“). Diese letztere weise einen anderen Stil auf und solle auf einen D-Kreis von „Traditionalisten“ hinweisen. P stamme aus Juda, wahrend D mehr in die Richtung des nördlichen Reiches der zehn Stämme weise. Wichtig sei hierbei, daß die verschiedenen Gruppen von Legenden kultischer Art seien, also verbunden mir verschiedenen Heiligtümern. Diese kultische Bedeutung der verschiedenen Überlieferungsschulen wurde schon von S. Mowinckel (1930) stark betont.

Kritik an dieser einseitigen Betonung des „Kultes“ (des Gottesdienstes) kommt von der „Schule von Leipzig“, die sich auf das Werk von A. Alt (1929) gründet. Sie versuchte noch nuancierter, den „Sitz im Leben“ der verschiedenen „Gattungen“ ausfindig zu machen. Zu dieser Richtung gehören vor allem M. Noth und G. von Rad, von denen vor allem der Letztgenannte mehr den theologischen als den historischen lnhalt des Alten Testaments betont.
Parallel mit der Entwicklung der neutestamentlichen Kritik wird die historisch-kritische Methode (wie Quellenscheidungstheorie und Formgeschichte) etwas in den Hintergrund gerückt. Dadurch wird mehr Raum frei für eine theologische Exegese, die zum Kern durchzudringen versucht, zum Inhalt, zu der „Sache“, zu dem „Kerygma“ (der Botschaft, Verkündigung, Predigt). Es gehe vor allem um Zeugnisse und Botschaften des alten lsraels, um die „kerygmatischen Ziele“ der Überlieferung. Diese Idee wurde u. a. von W. Pannenberg (1961) und seiner Schule ausgearbeitet. In der (vermeintlichen) Formgeschichte eines Buches sucht man jetzt auch den „theologischen Impuls“, der ursprünglich zum Entstehen und Zusammenstellen des Buches führte. Männer wie Noth und von Rad und auch W. Zimmerli und H. W. Wolff entwarfen eine neue Art alttestamentlicher Hermeneutik (Lehre des Auslegens), mehr eine Art Philosophie und Dogmatik, die sich mit der möglichen Bedeutung des alten Wortes von Israel für unsere heutige Situation beschäftigt.

Wenn wir die heutige Situation betrachten, können wir feststellen, daß man in Deutschland gewöhnlich eine Art Verbindung zwischen der Quellenscheidungstheorie und der Formgeschichte (angefangen mit O. Eissfeldt, 1934) anstrebt. In den skandinavischen Ländern sind die „Formgeschichte“ und die „Traditionsgeschichte“ führend.

Und in den angelsächsischen Ländern ist die Quellenscheidungstheorie immer noch die populärste, trotz der Tatsache, daß Generationen von Theologen die Pfeiler dieser Theorie zerstört haben - aber nur, um sich danach noch unwahrscheinlichere Theorien auszudenken, zum Beispiel die, daß die Israeliten ihre Auffassungen und Geschichten erst um 500 v. Chr. schriftlich niederlegten. Man könnte sich kaum eine Behauptung ausdenken, die mehr mit dem überwältigenden Tatsachenmaterial in Widerspruch steht als diese...


d) Grundlagen der Quellenscheidungstheorie

Nun ist es an der Zeit, daß wir uns näher mit den Argumenten der Bibelkritik und ihrer Widerlegung befassen. lhre Methoden werden auf das ganze Alte Testament angewandt, vor allem aber auf den Pentateuch, so daß diesem unsere besondere Aufmerksamkeit gilt. Später wollen wir die anderen Bücher noch kurz behandeln.

Zuerst wollen wir über das Fundament und die Unvollkommenheit der Quellenscheidungstheorie sprechen; dadurch kommen wir dann automatisch zu unseren Bedenken im Blick auf die „Form- und Traditionsgeschichte“. Lassen Sie uns im folgenden die (nach Meinung Eissfeldts) vier wichtigsten Fundamente der Quellenscheidungstheorie unter die Lupe nehmen:

1) Der Wechsel zwischen den Gottesnamen (Elohim und Jahwe) Wie wir schon sahen, war dies das erste Argument, das für die „Quellenscheidungstheorie“ gebraucht wurde. Man ging davon aus, daß dem 1. Buch Mose verschiedene Quellen zugrunde lagen, die jede für sich einen der beiden Gottesnamen bevorzugten. Dieses Argument ist aus folgenden Gründen abzulehnen:

aa) Genau derselbe Namenswechsel kommt in vielen antiken Werken vor, bei denen niemand die Einheit der Verfasserschaft anzweifelt, und es würde uns sehr befremden, wenn die alten hebräischen Quellen hier eine Ausnahme machen würden und immer nur einen Gottesnamen verwendeten.
bb) Die Teilung in verschiedene Quellen auf Grund von Gottesnamen ist so künstlich, daß die Kritiker öfter das Argument nicht konsequent durchführen konnten; so kommt Elohim in folgenden J-Texten vor:
1. Mose 3,1-5; 31,50; 33,5 + 11, und Jahwe in folgenden E-Texten: 1. Mose 21,33; 22,11 + 14; 28,17-22. Solche Probleme schoben die Kritiker gewöhnlich auf den „Redakteur“, der wohl nicht besonders intelligent gewesen sei.
cc) Zwischen dem masoretischen Text und der Septuaginta (siehe Kapitel 3) bestehen zahllose Unterschiede im Vorkommen der Gottesnamen. Dennoch gehen die „Quellenscheider“ beständig von dem Masoretentext aus, als ob nur deren Text den Namen Gottes unfehlbar überliefert hätte. Das kommt einem etwas merkwürdig vor bei Theologen, die den Text doch sonst in jeder Hinsicht als unvollkommen ansehen...
dd) Wie sogar viele Kritiker später erkannt haben, kann der Gebrauch der verschiedenen Gottes- namen im Text treffend durch den Kontext erklärt werden. Elohim verweist auf Gott als den allmäch- tigen Schöpfer des Weltalls und als Herrn über die Natur und den Menschen im allgemeinen. Jahwe dagegen ist der Bundesname Gottes, der gebraucht wird, wenn es im Text um die vertraulichen Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen geht.

2) Vermeintliche Duplikate und Parallelgeschichten. Dies war fast von Anfang an eines der meistgebrauchten Argumente. Man „sah“ in
1. Mose 1 u. 2 zwei verschiedene Schöpfungs- geschichten und zwei sich kreuzende Geschichten in 1. Mose 6-8 (Sintflutbericht). Diese unterschiedlichen Geschichten würden darum ursprünglich aus verschiedenen Quellen kommen und seien von den Zusammenstellern nebeneinander in die heutigen Bücher der Bibel aufgenommen worden.
In Wirklichkeit scheint es entweder (a) um verschiedene Geschichten mit übereinstimmenden Details zu gehen, oder (b) um tatsächliche Wiederholungen, jedoch unter einem völlig neuen Gesichtspunkt, oder aber (c) um eine Wiederholung, die der Eigenart der hebräischen Kultur zuzuschreiben ist.

Wir geben zu allen drei Punkten ein Beispiel: a. Für den ersten Fall kann man die meisten Beispiele geben, wie: die doppelte Flucht Hagars (
1. Mose 16 und 21); die dreimalige Be-

3) Angebliche Widersprüche, Anachronismen und Ungereimtheiten. Diese Art Vorkommnisse, so meint man, weisen auf verschiedene Quellen hin, die von verschiedenen Verfassern stammen, die unter ganz unterschiedlichen Umständen geschrieben haben.
aa) Man meint, einen Widerspruch zu entdecken in der Namensgebung (z.B. Sinai gegenüber Horeb, Jethro gegenüber Reghuel), in der Gesetzgebung (ohne jedoch zeitliche und durch Umstände bedingte Unterschiede zu berücksichtigen), in Gewohnheiten (z.B.: in P gibt der Vater den Kindern Namen, in J und E die Mutter; aber diese Regel kennt zahlreiche Ausnahmen!) und in anderem mehr.
bb) Anachronismen (Wörter im Pentateuch, die deutlich aus einer viel späteren Zeit stammen), wie »Philister« in
2. Mo  13,17, »Dan« in 1. Mose 14,14 und 5. Mose 34,1 und »das Land der Hebräer«  in 1. Mose 40,15, können in der Tat verblüffen. Sie könnten aber auch die Folge von späteren Revisionen durch Schriftgelehrte sein, ohne daß damit Moses Verfasserschaft wirklich angetastet würde.
cc) »Spätere Wörter« (die im Alten Testament selten, aber dafür in der späteren hebräischen Literatur, oft vorkommen) sollten darauf hinweisen, daß die Schriftstellen, in denen diese Worte vorkommen, darum auch von späterem Ursprung seien. Man hat dabei gewöhnlich außer acht gelassen, daß es genauso gut möglich ist, daß (1) die »späteren Worte« in Wirklichkeit alt sind, aber wenig in der Bibel vorkommen, oder daß (2) sie wirklich »spät« sind, aber im Nachhinein dem Text zugefügt wurden, um veraltete oder undeutliche Wörter zu ersetzen. Von beiden Möglichkeiten gibt es genügend Beispiele in der Literatur.
dd) Aramäismen (aramäische Wörter oder Idiome im hebräischen Bibeltext) sollten ebenfalls darauf hinweiseil, daß die betreffenden Stellen jung seien (d.h. aus der Zeit nach der Gefangenschaft stammen). Aber der größte Teil dieser »Aramäismen« stellt sich auf die Dauer als reines Hebräisch heraus oder könnte es wenigstens sein. Das Argument ist damit so gut wie hinfällig.
ee) Ungereimtheiten sollten z.B. sein, daß Mose, wenn er der Verfasser des Pentateuchs wäre, dann über sich selber in der dritten Person geschrieben hätte und auch seinen eigenen Tod schilderte (
5. Mose 34). Das erste ist aber keineswegs ein Problem, weil das in der antiken Literatur sehr häufig vorkommt. Der zweite Punkt ist genauso unkompliziert: 5. Mose 34 ist in der Tat einfach ein späterer Abschluß des Buches, ein Anhang, der zudem auch sehr einfach (oberflächlich) gehalten wurde (siehe auch Kapitel 3).

4) Unterschiede in Thema, Stil und Wortwahl. Auch hier meint man, daß solche Unterschiede auf verschiedene Quellen hinweisen, die von verschiedenen Autoren aus verschiedenen Zeiten stammen sollen. Die dafür angeführten Beispiele sind aber ebenfalls weit hergeholt und können auch ganz anders erklärt werden.
aa) Es ist unverständlich, weshalb wir annehmen sollten, daß ein hebräischer Verfasser nicht über verschiedenen Themen (Biographien, sittliche Lektionen, Geschlechtsregister, Zählungen, Zeremonien) schreiben sollte, wie etwa moderne Verfasser und andere aus der übrigen antiken Literatur.
bb) Genau dasselbe gilt für Unterschiede im Schreibstil. Es ist überall bekannt, daß ein Autor sehr wohl über mehrere Stile verfügen kann, vor allem wenn er über verschiedene Themen schreibt; auch das ist in der antiken Literatur nicht unbekannt.
cc) Auch die Unterschiede im Wortgebrauch - die Theologen haben enorme Listen von Worten erstellt, die für die verschiedenen Quellen kennzeichnend sein sollen! - lassen sich sehr einfach erklären aus (1) den unterschiedlichen Themen (von denen jedes eigene Schlagworte kennt) und (2) der Vorliebe eines Verfassers für verschiedene Ausdrucksweisen, die seinen Stil beleben oder bestimmten Dingen Nachdruck verleihen. Außerdem (3) hat auch hier die antike Literatur genau dieselben Unterschiede bei ein und demselben Verfasser ans Licht gebracht.


e) Allgemeine Einwände gegen die Kritik am Alten Testament

Nachdem wir die Beweggründe der Quellenscheidungstheorie geprüft haben, wollen wir nun tiefer auf die Hintergründe sowohl der Quellenscheidungstheorie als auch der Formgeschichte eingehen. Erst werden wir eine Reihe allgemeiner Einwände gegen die Methoden der Quellenanalyse und der Form- und Traditionsgeschichte zum Ausdruck bringen. Danach wollen wir dann kurz sehen, wie die neueren Entdeckungen der Archäologie die traditionellen Argumente der Bibelkritik entkräftigt haben. Schließlich gehen wir dann noch auf den gefährlichen philosophischen Hintergrund der ganzen Bibelkritik des Alten Testaments ein. Wir haben folgende Einwände:

1) Westliche Interpretation. Es ist eigentlich unbegreiflich, daß moderne westliche Kritiker es wagen, sich ein Urteil über Unterschiede in Stil und Wortgebrauch anzumaßen, ohne daß sie über andere vergleichbare hebräische Literatur (aus der Zeit der Bibel) verfügen. Sie verwerfen Sätze oder formulieren sie einfach anders (überall, wo ihren westlichen Ideen über Zusammenhang oder Stil Gewalt angetan wird). Sie behaupten, den Text verbessern zu können, indem sie die seltsamen oder ungebräuchlichen Wörter des Masoretentextes (die sie nicht begreifen oder nicht im Kontext »erwarten«) durch andere ersetzen.

2) Keine objektiven Beweise. Was dem Naturwissenschaftler in dieser Theologie besonders auffällt, ist das absolute Fehlen einiger objektiver Beweise. Sogar der leidenschaftlichste Verfechter der Quellenscheidungstheorie muß zugeben, daß es nicht den geringsten Beweis dafür gibt, daß die JEDP-Dokumente, die die Kritiker sich ausgedacht haben, jemals vorhanden waren. Im Gegenteil, das historische Zeugnis steht ihnen, wie wir später noch sehen werden, entgegen.

3) Desintegrierendes Vorgehen. Das gebräuchliche Vorgehen bei der antiken Literatur ist das Beachten der Harmonie. Hierbei werden (um die Einheit des Werkes zu wahren) scheinbare Widersprüche so gut wie möglich aus dem Kontext erklärt, solange sich nicht deutlich das Gegenteil herausstellt. Aber mit der Bibel ging man nicht so vor. Es waren vor allem jüdische Theologen (wie U. Cassuto und M. H. Segal), die sich empört gegen die desintegrierende Behandlung des Alten Testaments durch die Kritiker gewehrt haben. Sie hielten ihnen vor, daß man immer Widersprüche finden würde, wenn man gierig danach suchte, und verteidigten die Einheit und Harmonie der Bücher mit aller Macht.

4. Kreisdenken. Weil sie trotz fehlender objektiver Beweise unbedingt an verschiedene Quellen glauben wollen und weil sie sich desintegrierend an die Bibel heranmachen, ist es für die Kritiker nicht schwer, sich vier (oder mehr) Quellen auszudenken, von denen jede ihr eigenes Kennzeichen trägt, und danach die Schriftstellen schön über die Quellen zu verteilen, um letztlich zu behaupten, das ordentliche Resultat beweist, daß es 4 (oder x) Quellen sind. Dieses Vorgehen steht wissenschaftlich auf schwachen Füßen, weil diese »Schlußfolgerung« von vornherein in die Ausgangsposition mit eingebaut war! Ohne objektiv festgelegte Ausgangspunkte kann das Resultat niemals mehr sein als Spekulation. Das Resultat könnte vielleicht noch beeindruckend sein, wenn es sich in der Tat herausstellte, daß man alle Sätze in 1. Mose über 4 Quellen (jede mit einer großen Anzahl gut zu unterscheidender Kennzeichen!) verteilen kann. Aber das ist eben nicht möglich, so daß die Kritiker noch zu einem anderen Kennzeichen Zuflucht nehmen müssen.

Alle Probleme, die der Text für ihre Theorie aufwirft, werden einfach damit abgetan, daß man den Redaktor und die späteren Schriftgelehrten beschuldigt, am Text herumgepfuscht zu haben! Also dasselbe Textmaterial, auf das man vertraut, um die Quellenscheidungstheorie zu beweisen, wird, sobald es damit in Widerspruch gerät, einfach als falsch verworfen! Auf diese Inkonsequenz wollen wir deutlich hinweisen.


f) Archäologische Gegenbeweise

Es ist äußerst merkwürdig zu beobachten, wie sehr die Kritiker bei ihrer Quellenscheidungstheorie auf eigene subjektive Vorurteile gebaut haben und so wenig mit der objektiveren und besser kontrollierbaren Information rechneten, die die Archäologie lieferte. Waren ihre Theorien einmal festgelegt, kümmerten sie sich nur noch wenig um neuere Forschungen und Errungenschaften aus dem Bereich dieser Wissenschaft. Es sind denn auch gerade die archäologischen Beweise, die von Mal zu Mal die Behauptungen der Kritiker Lügen straften.

Ferner war sehr merkwürdig, daß die Kritiker den Wert des Alten Testaments als archäologisches Dokument wenig achteten. Überall da, wo die Bibel von einem heidnischen Dokument abwich, wurde dieses letztere, auch wenn es jünger war. anstelle der Bibel automatisch als historisches Dokument bevorzugt. Keiner einzigen biblischen Aussage wurde vertraut, solange diese nicht durch außerbiblische Quellen bestätigt wurde. Gleichgültig, wieviel biblische Angaben, die von Kritikern des 19. Jhdts. verworfen worden waren, durch spätere archäologische Forschungen bestätigt wurden (wie die Geschichte Belsazers, der Hethiter und der Horiter) - man beharrte bezüglich der Bibel weiter in seiner skeptischen Voreingenommenheit. Beispielhaft drei wichtige Punkte, bei denen die Bibelkritiker von der Archäologie widerlegt wurden:

1) Das Alter der Schreibkunst. Nach Meinung der Kritiker war die Schreibkunst bis zur Zeit Davids in Israel praktisch unbekannt, so daß Mose den Pentateuch nicht geschrieben haben konnte. Für diese Behauptung hat man wenig andere »Gründe« als das evolutionistische Vorurteil. Heute wissen wir aber auf Grund neuerer archäologischer Forschungen, daß die Schreibkunst nicht nur bereits Jahrhunderte vor der Zeit Davids in Israel verbreitet war (sogar die Straßenjungen konnten schreiben!
Richter 8,14), sondern daß sie sogar schon etwa 1500 Jahre vor der Zeit Moses im Orient angetroffen wurde. Die neuesten Funde in Teil Mardich haben dieses wiederum »überraschend« bestätigt.

2) Die Geschichten der Erzväter. Auch diese wurden von den Kritikern als unglaubwürdig und oft unhistorisch abgetan. Manche zweifelten sogar daran, ob jemals ein Mann wie Abraham gelebt habe. Auch hier haben die Forschungsergebnisse des 20. Jahrhunderts die Kritiker ins Unrecht gesetzt. Darauf deuten z.B. die Ausgrabungen von Ur in Chaldäa, die Ausgrabungen bei Sichern und Bethel und vielen anderen Orten Palästinas, die berühmten Tontafeln von Mari, Nuzi und Teil Mardich, die auf allerlei Einzelheiten in der Geschichte der Erzväter hinweisen, und ferner die Entdeckung des hethitischen Gesetzbuches, das ein Licht auf die Unterhandlungen wirft, die in
1. Mose 23 beschrieben werden.

3) Die mosaische Gesetzgebung. Sie sollte deutliche Kennzeichen aufweisen, die auf eine Entstehung nicht früher als im 5. oder 6. Jhdt. v. Chr. hindeuten (also während oder nach der Gefangenschaft). Auch hier war es wieder das evolutionistische Vorurteil, das es den Kritikern nicht erlaubte, anzunehmen, daß solche verfeinerten, moralisch hochstehenden Gesetze älter sein könnten. Auch hier war es die Archäologie, die bewies, daß auch andere Völker bereits mehr als tausend Jahre vor der Gefangenschaft ähnliche Gesetze besaßen. Wir denken an die treffenden Ähnlichkeiten zwischen dem Gesetzbuch von Hammurabi und den Entdeckungen in Ugarit (Ras Shamra). Dieses Argument läßt sich nicht einfach dadurch entkräften, daß man behauptet, Mose oder spätere Gelehrte hätten ihre Gesetze von Hammurabi oder Ras Shamra entliehen.
 

Wenn wir das ganze Bild überschauen, entdecken wir, daß die Archäologie nicht nur die selbstsicheren Behauptungen der Kritiker in beeindruckender Weise widerlegt hat, sondern außerdem das hohe Alter des Pentateuch (und damit die Verfasserschaft des Mose) bestätigte.

Was wir durch die Archäologie über das alte Ägypten wissen, zeigt uns, daß der Schreiber des Pentateuch eine große Kenntnis von Ägypten gehabt haben muß, vor allem im Blick auf geographische Gegebenheiten, Personenbenennungen und spezielle Bräuche in Ägypten. Auch finden wir in l. und 2. Mose mehr ägyptische Wörter als im Rest des Alten Testaments. Dies alles wird um so verständlicher, wenn wir davon ausgehen, daß diese Bücher von jemand geschrieben wurden, der den Auszug aus Ägypten selber mitgemacht hat; und viel weniger verständlich, wenn wir annehmen müßten, daß diese Bücher erst viele hundert Jahre später niedergeschrieben wären.

Der Blickpunkt des Verfassers von 2. bis 4. Mose ist deutlich der eines Menschen, der sich außerhalb Palästinas befindet (die Umstände, das Wetter, die Flora, die Fauna und die Geographie sind deutlich ägyptisch oder sinaitisch, nicht palästinensisch). Außerdem sind die Bücher deutlich erkennbar geschrieben für ein Volk in der Wüste und nicht für ein Volk von Landwirten in Palästina, das tausend Jahre später lebte. Dies zeigt sich u.a. an der vielfältigen und detaillierten Beschreibung der Stiftshütte sowie dem Aufbau des Lagerplatzes (
4. Mose 2), der Marschordnung (4. Mose 10) und der hygienischen Anweisungen für das Wüstenleben (5. Mose 23, 11-14), wie auch am Wegschicken des Sündenbocks in die Wüste (3. Mose 16.10).

Vor allem in 1. Mose kommen zahlreiche archaische Gebräuche  vor, die nach Auffassung der Archäologie wohl ins zweite Millenium v. Chr. hineinpassen, nicht aber später. Auch in der Sprache kommen allerlei Archaismen (veraltete Wörter und Buchstabierungen) vor, die ohne Zweifel auf ein hohes Alter des Pentateuch hinweisen. Alles zusammengenommen, können wir nicht anders als zu dem Schluß kommen, daß der Verfasser des Pentateuch ursprünglich ein Einwohner Ägyptens (und nicht Palästinas) gewesen sein muß, der dadurch ein hohes Maß von Erziehung, Gelehrtheit und literarischer Gewandtheit besaß, und Auszug und Wüstenreise miterlebt hat.

Wie kann man da noch behaupten, wir hätten keinen Grund mehr, an der Verfasserschaft des Mose festzuhalten?


g) Philosophische Hintergründe der Bibelkritik

Wenn die Grundhaltung der Bibelkritik nicht in Ordnung ist, wenn wir so viele Einwände gegen die Methoden der Kritiker anführen können, wenn sich ihre eigenen Argumente gegenseitig widerlegen und wenn die Archäologie sie mehr und mehr Lügen straft, warum halten die Kritiker dann noch so beharrlich an ihren Theorien fest?

Die Antwort ist die gleiche wie auf die Frage, warum so viele Naturwissenschaftler noch an der Evolutionstheorie festhalten: Beide Gruppen sind Evolutionisten, die nicht so sehr aufgrund wissenschaflicher Beweise auf ihren Theorien bestehen, sondern vielmehr aufgrund ihrer weltanschaulichen Vorurteile. Hinzu kommt die Furcht vor der einzigen Alternative: den Aussagen des inspirierten, unfehlbaren Wortes Gottes. Die Bibelkritik kam im 18. Jhdt. vor allem auf dem Hintergrund der Aufklärung zur Blüte, die von der Einstellung ausging, daß Gott, wenn er überhaupt existiert, nicht mehr in die natürliche Ordnung des Weltalls eingreift, und daß es darum auch nicht (Hugo de Groot) so etwas wie eine übernatürliche Offenbarung geben kann. Der Humanismus hatte durch den Deismus (Hobbes, Simon), vor allem aus England, den Weg geebnet für diese radikale historische Kritik in Deutschland, in der für Gottes Handeln in der Geschichte kein Platz mehr war. Die Geschichte von einem Mann wie Mose, der zweimal vierzig Tage bei Gott auf dem Berge Sinai weilt und dort den Befehl zum Schreiben bekommt (
1. Mose 34,27), wird von vornherein als unmöglich abgetan. Die dunkle Brille, die die Kritiker aufsetzen, macht es ihnen unmöglich, ein Auge für die bunten Farben zu haben, mit denen die Bibel ihre göttliche Offenbarung zum Ausdruck bringt.

Als Alternative äußert man den Gedanken, Geschichte und Religion hätten sich langsam und auf natürlichem Wege entwickelt. Diesen Weg der Entwicklung betrachtete man zuerst nach der Denkweise der Romantik (J. G. Herder, J. G. Eichhorn, W. M. L. de Wette) und später vor allem nach der Denkweise des deutschen Idealismus von Hegel, der das Bild der Geschichte »dialektisch« interpretierte (W. Vatke, H. Ewald). Als Darwin diesen Begriff »Dialektik« in der Naturwissenschaft als »natürliche Selektion« wiedergab und so zu einer modernen Evolutionstheorie kam, die sowohl die Entwicklung des Lebens als auch die der Kultur betraf, eroberte diese Theorie die ganze wissenschaftliche Welt und damit auch die Theologie.

Die Theorie einer Entwicklung vom primitivsten Animismus bis hin zum hochentwickelten Monotheismus paßte ausgezeichnet in Hegels Dialektik und Darwins Evolutionstheorie. Hauptsächlich war es Wellhausen, der sich dessen bewußt wurde und dem es gerade auf diesem Hintergrund gelang, der Quellenscheidungstheorie zu ihrer enormen Popularität zu verhelfen. Die Schule Wellhausens ging also von der total unbegründeten Annahme aus, Israels Religions- geschichte wäre genau wie alle anderen rein menschlichen Ursprungs und könne darum nur ausschließlich evolutionistisch erklärt werden. Daß keine einzige andere religiöse Glaubensrichtung sich jemals zu einem echten Monotheismus entwickelt hat, machte ihm dabei nichts aus: Auch Israel könne nicht anders als mit Animismus und grobem Polytheismus angefangen haben. Die überwältigenden Beweise dafür, daß seit 1. Mose Israels Religion hochstehend und von Anfang an rein monotheistischer Art war, wurden einfach weginterpretiert, indem man sie als spätere Hinzufügungen und Verdrehungen deutete. Unsere Antwort hierauf ist folgende:

(1) Die Naturwissenschaft hat uns nach Meinung Tausender heutiger Naturwissenschaftler gelehrt, daß es genug wissenschaftliche Gründe dafür gibt, das Evolutionsmodell zu verwerfen und ein Schöpfungsmodell zu bevorzugen. Damit ist die Basis für den theologischen Evolutionismus verschwunden.

(2) Die Archäologie hat überzeugend gezeigt, daß nicht nur im Land Israel, sondern auch in dessen Nachbarländern die Religion bereits in den Jahrhunderten vor David, obwohl vermischt mit allerlei Vielgötterei, überwiegend monotheistisch war (siehe Albright). Dem steht das Volk Israel von Anfang an mit einem reinen Monotheismus gegenüber, was auch die Vorstellung unsinnig macht, nach der Israels Monotheismus sich durch eine dialektische Wechselbeziehung zu den Nachbarländern entwickelt haben soll: Von Anfang an gibt es enorme Unterschiede zwischen Israels Religion und der seiner Nachbarn. So rechnete das Volk Israel seinem Gott kein Geschlecht zu, kennt keine Mythen der Gottheit und auch keine weibliche Gottheit. Daß Israel trotzdem oft viele Götzen verehrte und den Bilderkult einführte, ist leider nur allzu wahr - aber es waren dies nur Götzen (und Bilder) ihrer Nachbarn; niemals bauten sie Bildnisse von Jahwe!

(3) Die Wissenschaftsphilosophie sollte die Kritiker gelehrt haben, daß ihre Abneigung gegen das Übernatürliche nur ein philosophisches Vorurteil ist, und daß ihr System demnach nicht von vornherein besser ist als die Auffassung, daß die Wirklichkeit nicht nur aus dem (naturwissen- schaftlich) Wahrnehmbaren besteht, sondern in einer engen Wechselbeziehung mit dem Nichtwahrnehmbaren erkannt wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Auffassungen ist, daß die letztere das Zeugnis der ganzen Bibel hinter sich weiß, die erste aber nicht.

Die alttestamentliche Kritik ist von einer verwerflichen Annahme ausgegangen, wurde auf untaugliche Fundamente aufgebaut, mit manchmal unwissenschaftlichen Methoden betrieben und hat zudem ein Durcheinander widersprüchlicher Resultate und Auffassungen hervorgebracht, die die Unsinnigkeit dieser Forschungsart aufgezeigt haben. Noch immer haben wir Grund genug, an der göttlichen Offenbarung und der historischen und geistlichen Glaubwürdigkeit der Schrift festzuhalten.



2) Die Bibelkritik am Neuen Testament

Das Neue Testament ist viel jünger als das Alte, es ist in einer ganz anderen Zeit und Umgebung entstanden und hatte zudem einen viel größeren Empfängerkreis. Hinzu kommt, daß es innerhalb weniger Jahrzehnte nach den darin beschriebenen Ereignissen entstanden ist. Man sollte meinen, daß es für die sog. »Formkritik« in solch einer kurzen Zeitspanne nur wenig zu erfinden gäbe - aber wir werden sehen, daß diese theologische Richtung sowohl in der neu- wie auch in der alttestament- lichen Kritik mindestens gleich stark aufblühte.



a) Frühe Geschichte der Kritik am Neuen Testament

Wir können hier im großen und ganzen dieselbe Linie verfolgen wie bei der alttestamentlichen Kritik. Wir sehen neben der Reformation den Humanismus aufkommen, der die Autonomie des Menschen betont (der Mensch und nicht Gott im Mittelpunkt allen Geschehens). Diese Richtung verkehrt die göttliche Offenbarung und will die Bücher der Bibel als menschliche Literatur erklären, und das am liebsten im Zusammenhang mit heidnischen Kulturen und religiösen Riten.

So sucht man für das Neue Testament Parallelen in der jüdischen (J. Lightfoot, um 1670) oder klassischen Literatur (H. de Groot, um 1645) oder in beidem (J. J. Wettstein, 1652). Dieses Vorgehen kann zu nichts anderem als zur Kritik am biblischen Kanon führen: So hatte beispielsweise Hugo de Groot Einwände gegen 2. Petrus und 2. Johannes. Dieselbe Tendenz erkennen wir anschließend vor allem beim (englischen) Deismus. So unterscheidet zum Beispiel J. Locke (1695) zwischen der wesentlichen Lehre Jesu und der nichtwesentlichen Lehre (Formgebung) der Briefe der Apostel. Andere lehrten, daß Jesus nur ein einfacher Moralprediger war, dem es nur um seine Lehre ging; während die späteren Evangelien eine Theologie aufgebaut hätten, die mehr seine Person als seine Lehre betone. Im 18. Jahrhundert erreichte diese Theorie (Periode der Aufklärung oder Erleuchtung), bei der der menschliche Verstand (Vernunft) über das Wort Gottes gestellt wurde, von England ausgehend Deutschland.

Von großem Einfluß waren die Ansichten H. S. Reimarus' (1778), der die Möglichkeit biblischer Wunder leugnete, Jesus einen idealistischen Juden ohne Zukunftschancen nannte und die Jünger als unmoralisch einstufte, weil sie Jesu Leichnam gestohlen hätten, um für ihre Sache die Auferstehung predigen zu können! Genauso radikal und einflußreich war J. S. Semler (1775), der wohl die essentiellen Teile der christlichen Religion gelten lassen wollte, aber einen Unterschied zwischen dem göttlichen Inhalt (»Wort von Gott«) und der menschlichen Form (die Schrift) machte; so konnte auch er ganze Teile des Kanons für »unecht« erklären. Der dritte tonangebende Theologe jener Tage war J. PA. Gabler (1787), der in die historische Kritik den Begriff »Mythos« einführte, eine Geschichte also, worin der Mensch mit Hilfe von Elementen und Symbolen aus der sichtbaren Wirklichkeit seinen Glauben an eine höhere Wirklichkeit wiedergibt. G. L. Bauer (1800) erarbeitete diese Theorie für das Neue Testament. So sehen wir auch hier nicht in erster Linie die Frucht objektiv-wissenschaftlicher Arbeit, sondern eine bestimmte Art philosophischen Denkens, bei der man von vornherein davon ausgeht, daß es keine göttliche Offenbarung gibt oder geben kann.

Auch im 19. Jahrhundert sehen wir den engen Zusammenhang mit der Philosophie. So wurde beispielsweise J. G. Eichhorn (1812) außer von Semler und Gabler vor allem von Herders Romantik beeinflußt. Er erklärte die Pastoralbriefe für »unecht« (d.h. nicht von Paulus, sondern erst später geschrieben) und meinte auch in den Büchern zwischen ursprünglichen Teilen und späteren Hinzufügungen unterscheiden zu können. W. de Wette arbeitete unter demselben Einfluß; er bezweifelte die Echtheit von 2. Thessalonicher und Epheser. Daneben sehen wir den Einfluß von Hegels Idealismus und Dialektik, vor allem in der »Neuen Tübinger Schule« von F. C. Baur (1873). Dieser ging von Semlers Meinung über eine Antihaltung zwischen Juden- und Heidenchristen in der ersten Gemeinde aus und wandte darauf Hegels dialektische Idee der »Evolution der Geschichte« an: Durch Gegenüberstellung von These (jüdisches Christentum, z.B. das Buch der Offenbarung) und Antithese (das Heidenchristentum) sei es zur Synthese (das katholische Christentum, vgl. Apostelgeschichte) gekommen. Von dieser Skizze ausgehend meinte er dann, bestimmen zu können, welche Teile der Paulusbriefe »echt« waren und welche nicht. Diese Arbeit in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts, begonnen mit den Briefen, wurde in der zweiten Hälfte mit den Evangelien fortgesetzt, denen nun die Aufmerksamkeit der Kritiker galt.



b) Das “synoptische Problem”

Wenn die Kritik am Alten Testament sich in erster Linie auf den Pentateuch richtete, so widmete sich die neutestamentliche Kritik vor allem den Evangelien. Das ist auch verständlich, denn die Briefe des Neuen Testaments lassen sich, im Gegensatz zu den historischen Büchern, sehr viel schwieriger in »Quellen« und »Überlieferungen« unterscheiden. Nun war es schon früh aufgefallen, daß die ersten der vier Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas (die, weil sie ein übereinstimmen- des Bild des Lebens Jesu abgeben, »synoptisch« genannt werden) einander so stark glichen (manchmal sogar fast wörtlich übereinstimmten; siehe z.B.
Matthäus 8,1-4 im Vergleich zu Markus 1,40-45 und Lukas 5,12-16), daß sie, obwohl jedes seinen eigenen Charakter trägt, hinsichtlich ihres Ursprungs und Aufbaus schwerlich ganz voneinander unabhängig gewesen sein können.

Das »synoptische Problem« heißt: Wie groß und von welcher Art ist die gegenseitige Abhängigkeit? In den letzten drei Jahrzehnten wurden schon viele Lösungen für dieses Problem angeboten; wir werden die wichtigsten hier flüchtig behandeln:

1. Die Urevangeliums-Theorie. G. E. Lessing (1778) und J. G. Eichhorn (1812) meinten, die vier Evangelien seien Bearbeitungen oder Zusammenfassungen eines alten aramäischen Evangeliums der Nazoräer, während F. Schleiermacher (1825) mehr an ursprüngliche Materialsammlungen von verschiedenen Arten dachte (Kollektion von Wundergeschichten oder von Aussagen Jesu oder Leidensgeschichten usw.), die die Basis für die drei ersten Evangelien bilden würden.

2. Die Oraltraditionstheorie, die vor allem von J. K. L. Gieseler (1818) und später von B. F. Westcott (1851) aufgebaut wurde, aber im Grunde auf Theorien von Kirchenvätern wie Papias und Irenäus (2. Jhdt.) zurückgriff. Der Grundgedanke ist, daß aus der Predigt der Apostel eine Art mündliches Urevangelium entstand, das durch fortwährende Wiederholung immer festere Formen annahm, bis die drei Evangelisten es, jeder auf seine Weise, schriftlich niederlegten, möglichst unter Zuhilfenahme schon bestehender Notizen. Das Markusevangelium (das kürzeste und einfachste) sollte dabei diesem Urevangelium am meisten entsprechen. Doch dann kam der Einwand: Warum läßt Markus so viel von den Lehren Jesu Christi aus, die bei den zwei anderen wohl zu finden sind? Auch aus anderen Gründen meinten die Kritiker, es sei wahrscheinlich, daß die »Synoptiker« (die drei ersten Evangelisten) von geschriebenen Quellen Gebrauch machten.

3. Die Benutzungstheorie. Verschiedene Kritiker versuchten, die Lösung darin zu finden, daß sie davon ausgingen, die Evangelien seien voneinander abhängig (d.h., daß ein oder zwei der Evangelisten von den anderen Evangelien Gebrauch gemacht hätten). J. J. Griesbach (1789) meinte (Augustinus folgend), daß Markus von Matthäus und Lukas Gebrauch gemacht hätte (Reihenfolge: Matthäus, Lukas, Markus), aber Baur und später auch H. G. Jameson (1922) meinten, die Reihenfolge sei: Matthäus, Markus, Lukas. K. Lachmann (1835) hielt es hingegen mit Markus, Matthäus, Lukas, wogegen W. Lockton (1922) meinte, es sollte Lukas, Markus, Matthäus sein. Also alles andere als eine Übereinstimmung. Diese Theorie ist heute längst überholt, aber der Gedanke, daß Markus die Basis für die beiden anderen bilde, blieb hängen, und so bereitete diese Theorie den Weg zur Quellenscheidungstheorie, die wir nun betrachten.

4. Die Quellenscheidungstheorie. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die Auffassung über die »Priorität des Markus« immer mehr Einfluß und wurde beinahe zum Dogma. Nun entstand die Theorie, daß die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den drei Evangelien am besten erklärt werden könnten, indem man von zwei verschiedenen Quellen ausging: (a) Markus oder eine früher geschriebene Form davon (Ur-Markus) und (b) ein Q-Dokument (Q von Quelle, auch Logoi »Wörter« genannt, weil das Dokument hauptsächlich Worte von Christus enthalten habe), aus dem Matthäus und Lukas auf verschiedene Weise zitiert haben sollten. Diese »Zweiquellentheorie« wurde vor allem von H. J. Holtzmann (1863) ausgearbeitet, nachdem C. H. Weisse 1838 die Logoi-Quelle angeführt hatte und so im Grunde auch die Urevangeliumstheorie in einer neuen Form wieder aufleben ließ.

Später wurde die Quellenscheidungstheorie von B. H. Streeter (1924) zu der »Vierquellen-Theorie« ausgebaut, wobei er von folgenden Quellen ausging: (a) Markus, das dem Charakter nach römische Evangelium, (b) Q (begrenzt auf das Material, das wir sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas, nicht aber bei Markus finden), vermutlich in oder um Antiochien entstanden, (c) M, ein Wörter-Dokument aus Jerusalem, dem Matthäus das Material entnommen haben soll, das nur er nennt, (d) L, die cäsareanische Tradition (wahrscheinlich mündlich überliefert und darum von vielen auch nicht als Quelle anerkannt), aus der Lukas geschöpft haben soll. Trotz des stark spekulativen Charakters dieser Theorie (eine Priorität von Markus kann nicht bewiesen werden, und Q, M und L sind im Grunde nur Luftblasen), ist sie in der angelsächsischen Welt sehr populär geworden, obwohl sie in späterer Zeit teilweise von der Schule der Formkritiker überholt wurde.

5. Die Formkritik (Formgeschichte). Wie wir bereits bei der Kritik des Alten Testaments sahen, wollte die formkritische oder formhistorische Schule vor allem herausfinden, wie die geschriebenen Quellen - von den mündlichen Überlieferungen ausgehend - schriftlich niedergelegt wurden. Dabei suchte sie nach den ursprünglichen literarischen Formen, in denen die Überlieferung über Jesus festgelegt war, und zwar indem sie die Evangelien in solche »Formen« klassifizierte. Die Formkritik sieht das Evangelium also als künstliche Sammlung einzelner Überlieferungs-Einheiten (»Perikopen«) an und geht außerdem davon aus, daß die literarischen »Formen« dieser Einheiten jede für sich in einer ganz bestimmten sozialen Situation entstanden seien. Sie hätten einen eigenen »Sitz im Leben« und mehr den Glauben und die Bedürfnisse der ersten Christen (der »formgebenden« Gemeinschaft) wiedergegeben als den historischen Jesus. Bei dem Ausdruck »historischer Jesus« stoßen wir auf ein weiteres zentrales Problem, das wir nun auch erst wieder einigermaßen in der Geschichte nachprüfen wollen, bevor wir näher auf diese Theorie eingehen können.


c) Das Problem des “historischen Jesus”

Neben dem Problem der Entstehungsgeschichte der Bücher des Neuen Testaments unterscheiden wir in der neutestamentlichen Kritik das Problem der Rekonstruktion der ältesten christlichen Geschichte, nämlich der von Christus und der ersten Christengemeinde. Schon bald kamen die Kritiker zu der Auffassung, daß die Evangelien uns ein verdrehtes Bild des historischen Jesus vermitteln. Unter dem starken Einfluß von Reimarus' Rationalismus und Gablers Mythos-Begriff war es hauptsächlich D. F. Strauß (1836), der in seinem aufsehenerregenden Buch »Das Leben Jesu« behauptete, daß man das Neue Testament auf mythische Weise lesen müsse. Die Evangelien (die erst nach Christi Tod entstanden) seien nur eine Wiedergabe des mythischen Glaubens, mit dem die Jünger Jesus »umwoben« hätten, vor allem, als sie anfingen, ihn als die »Erfüllung der Prophetien des Alten Testaments« zu betrachten. Strauß erklärte, daß die »Idee«, die in diesem Mythos verborgen sei, ihren Wert nur darin finde, daß die Menschheit sich bewußt werden dürfe, ein »fleischgewordener Gott« zu sein.

Strauß gab damit den Anstoß zu einer ganz neuen Gedankenentwicklung, wogegen Baur verkündete, daß das Johannesevangelium völlig unhistorisch sei und nur die »Idee« des Christus beschreibe. Die Kritiker konnten also nur hoffen, in den Evangelien etwas von dem historischen Jesus wiederzufinden. Die aufkommende (oben beschriebene) literarische Kritik erbrachte einen weiteren Anstoß für die historische Kritik, und nun konnte W. Wrede (1901), anders als Strauß, sogar mit der Auffassung aufwarten, Jesus habe sich selbst gar nicht als Messias angesehen. Die Messias-Idee sei eine Erfindung der frühen christlichen Gemeinde gewesen, und darum hätte Markus ein Evangelium schreiben müssen, in welchem »erklärt« wurde, wie Jesus im Nachhinein Messias sein konnte, ohne daß er selbst das jemals gepredigt hatte. Dies sollte dann »erklärt« werden, indem man sagte, Jesus habe sich selber wohl als Messias gesehen, aber anderen verboten, das weiterzusagen (vgl.
Markus 1,34+44; 3,12; 5,43; 7,36; 8,26+30; 9,9). Ebenso behauptete auch Wellhausen (1905), daß Jesus einfach ein jüdischer Lehrer war, der sich wohl selbst mit »Menschensohn« bezeichnete, aber in der einfachen Bedeutung: »Ich, der Mensch.«

In der Zeit um die Jahrhundertwende kam, wie wir schon sahen, auch das religiös-historische Studium in Gang, das Parallelen in der Kultur und der Religion der Griechen und Römer (P. Wendland,1907), der Perser und Ägypter (R. Reitzenstein, 1921) suchte. W. Bousset (1906) fing an, das Buch der Offenbarung religiös-historisch zu erklären, und andere versuchten, Taufe und Abendmahl und die Struktur der frühchristlichen Gemeinde im Lichte heidnischer Riten auszulegen (siehe C. Clemen, 1924). Aufgrund solcher Studien versuchte man nun, das Leben Jesu und der ersten Gemeinde zu rekonstruieren. So wollte die »konsequent-eschatologische Schule« (J. Weiss, 1892; A. Schweizer, 1906) die »Figur des Jesus« ganz aus der jüdischen Apokalypse (visionäre Zukunftserwartung) »erklären«. Die Vorhersagen Jesu sollten sich nicht erfüllt haben, und das hätte für ihn das Kreuz und für die junge Gemeinde die Frustration des Nichtwiederkommens Jesu zur Folge gehabt. Auf ähnliche Art und Weise »rekonstruiert« Bousset (1913) das allmähliche Wachstum der Lehre um Jesus in den ersten Christengemeinden. Demnach soll die palästinensische Urgemeinde damit angefangen haben, Jesus als »Sohn des Menschen« zu bezeugen, ein Begriff aus der jüdischen Apokalypse. Anschließend sollte dann die griechisch-heidnische Gemeinde damit angefangen haben, Jesus zum ersten Mal als Herrn (Kyrios), der ihr vorangegangen war, zu verehren, so wie man es vormals bei den heidnischen Kultgötzen gewöhnt war. Paulus sollte beides zu einer übernatürlichen Erlösungslehre verarbeitet haben, deren Mittelpunkt Jesus ist, während Johannes unter griechischem Einfluß das Christentum zu einer intensiv-mystischen Lehre erhoben hätte. In dieser jüdisch-heidnischen Vermischung sollte der Urkern nichts anderes gewesen sein als eine einfache Predigt Jesu über den gnädigen Gott, der Sünden vergibt. So ist von dem eigentlichen Leben und Wort Christi fast nichts mehr übriggeblieben. Der »historische Jesus« ist nicht oder kaum mehr zu rekonstruieren, so daß Kritiker sich im Prinzip eigentlich nur noch mit der Frage zu beschäftigen hatten, wie die Urgemeinde Christus verkündigte (diese Verkündigung sei das Kerygma). Im 20. Jahrhundert versuchte man dabei vor allem, auch eine Verbindung zu Qumran und den Essenern (nannten wir in Kapitel 3) herzustellen (unter anderem A. Dupont-Sommer, 1961) und noch mehr mit einem angenommenen frühen jüdischen Gnostizismus (einer mystischen Religionsphilosophie), u.a. von E. Käsemann und R. Bultmann. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich vor allem auf Johannes, der ihrer Meinung nach von dem Mythos des niedersteigenden »Offenbarers« Gebrauch machte, der durch sein Herniederkommen und Aufsteigen die erlösende Kenntnis (Gnosis) zu den Menschen gebracht habe. Andere (C. H. Dodd, 1946) sehen mehr Einflüsse von Platos Ideenlehre, aber alle stimmen darin überein, daß das Evangelium von Johannes kein historischer Bericht über das Leben Jesu sei oder sein will.

Die Schlußfolgerung aus diesem kurzen Überblick bringt uns zu denselben Erwiderungen wie im vorigen Abschnitt, sind es doch dieselben Theologen (vor allem Bultmann), die von dem historischen Jesus nichts übrigließen und auch die formhistorische Methode propagierten. Nun verstehen wir die Verbindung: Die Evangelien geben uns, nach der Auffassung dieser Theologen, nicht den historischen Jesus wieder, sondern den mythologischen, wie ihn die Urgemeinde verkündigt habe. Darum wären die Evangelien von neuem interessant, weil man daraus nicht etwa einiges über die Geschichte von Jesus erfahren könnte (das ginge nicht mehr), sondern über die Geschichte der Urgemeinde. Die verschiedenen literarischen »Formen« hätten jede für sich ihren eigenen »Sitz im Leben« (Lebenssituation), in Umständen und Bedürfnissen der Urgemeinde. Die »Formgeschichte« sieht es als ihre Aufgabe an, diese literarischen Formen herauszufinden und ihren »Sitz im Leben« zu bestimmen. Es ist jetzt unsere Aufgabe, diese Methode und die damit verbundene historische Kritik kritisch unter die Lupe zu nehmen (wenn wir es hier auch nur kurz anreißen können).


d) Die Entstehung der formgeschichtlichen Schule

Unter Berücksichtigung des oben Geschriebenen fällt es auf, daß es vier wichtige Ursachen gab, die (kurz nach dem ersten Weltkrieg) zur Entstehung der formhistorischen Methode führten:

1. Hauptsächlich aufgrund der Arbeit, die J. Wellhausen und H. Gunkel über das Alte Testament geschrieben haben, entstand der Wunsch, auch in den Evangelien (und später auch in der Apostelgeschichte) verschiedene literarische Formen zu unterscheiden und diese in ihrer ursprünglichen Situation (nach ihrem »Sitz im Leben«) zu analysieren, wobei die religiös-historische Methode den Hintergrund für das Gemeindeleben verschaffen mußte. Diese spekulative Arbeit ging also von Anfang an von der unbewiesenen Annahme aus, daß die Glaubensüberzeugung der ersten Gemeinden sich nicht so sehr auf die historischen Tatsachen des Lebens und Wirkens Jesu Christi gründeten als auf ihre eigenen Bedürfnisse und selbstgemachten Vorstellungen.

2. Eng damit verbunden war eine Unzufriedenheit über Ergebnisse der Quellenscheidungstheorie. Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie plausibel die Auffassung ist, daß sich die synoptischen Evangelien hauptsächlich auf zwei Quellen stützen (Markus oder Urmarkus und Q), doch damit war für die Formkritiker die Frage, wie diese Quellen selber entstanden waren, noch lange nicht beantwortet! Sie wollten bis hinter diese Quellen vorstoßen und versuchten, die Frage zu beantworten, wie sich die Überlieferung in den Jahrzehnten zwischen Jesu Kreuzigung und der Entstehung der ersten Quellen entwickelt haben könnte. Obwohl diese Forschung als »wissenschaftlich« präsentiert wurde, konnte sie aber wegen des Fehlens objektiver Kriterien und objektiv-historischer Informationen über diese Jahrzehnte praktisch nur aus ihrer Phantasie schöpfen (siehe unten).

3. Der dritte Beweggrund war die historische Kritik an den Quellen, vor allem an Markus. Der Weg dazu wurde von W. Wrede geebnet mit seiner Theorie des »Messiasgeheimnisses« in Markus (siehe oben). Wellhausen (1903) schloß sich dieser Theorie an und meinte, daß die ursprüngliche Überlieferung in Markus durch redaktionelle Hinzufügungen, die den eigenen Auffassungen der Urgemeinde entsprungen wären, nur verdeckt erkennbar sei. Diese Ansichten hatten einen enormen Einfluß auf formhistorische Pioniere, wie K. L. Schmidt und R. Bultmann, ohne daß diese den antichristlichen Charakter des rationalistischen Vorurteils, dem ihre Ansichten entsprachen, anerkennen wollten.

4. Im Gegenteil, das »moderne wissenschaftliche Weltbild« (was immer das sein mag), das auch von vielen modernen Wissenschaftlern verworfen wird, hielt die ersten Formkritiker dazu an, die Evangelien zu »entmythologisieren«, das heißt, die angeblichen mythologischen Elemente des
1. Jahrhunderts zu entfernen, die der Prüfung der »modernen Wissenschaft« nicht standhalten können, um damit den wesentlichen Kern des Evangeliums, der in den literarischen »Formen« (z.B. Wundergeschichten) verborgen sein soll, herauszuschälen. Die Formkritiker sahen ihre Aufgabe also folgendermaßen: (a) das Unterscheiden  der verschiedenen  literarischen »Formen« (Gleichnisse, Wundergeschichten, Reden, Legenden, Mythen, Leidensgeschichten), (b) das Herausfinden ihres »Sitzes im Leben« - also von der dazugehörenden »formgebenden Gemeinschaft«, (c) das Bestimmen ihres historischen Wertes.


e) Formgeschichtliche Theorien

Von den genannten Vorstellungen und Überlegungen vorbelastet, gingen die Formkritiker nun an die Arbeit und bauten ihre verschiedenen theoretischen Standpunkte auf, von denen wir die wichtigen kurz streifen wollen:

1. K. L. Schmidt (1919) baute auf Wrede und Wellhausen auf, studierte den Aufbau von Markus sorgfältiger und unterschied zwischen der »Tradition« (einzelnen Überlieferungseinheiten oder »Perikopen«) und den »Redaktionen« (Verbindungen zwischen den Einheiten, also den Anhängen und Einflechtungen des Evangelisten). Er kam zu dem Schluß, daß die Chronologie und Geographie des Evangeliums unglaubwürdig seien und daß die »Redaktionen« Hinweise auf Markus' persönliche theologische Meinung erkennen ließen. Damit stimulierte Schmidt die weitere formhistorische Arbeit.

2. M. Dibelius (1919) ging davon aus, daß die Tradition in den Urgemeinden durch deren missionarische Bedürfnisse entstanden sei: Sie hätten Material aufgebaut, das bei den Predigten immer wieder gebraucht worden sei und so eine feste Form bekommen hätte. Daneben hätten sich durch andere Bedürfnisse neue Formen entwickelt: (a) Paradigmen (kurze Erzählungen, die in Beispielen eine moralische Lehre erläutern), (b) Novellen (Wundergeschichten, von Geschichtenerzählern geformt), (c) Sammlungen von »Wörtern« (Aussprachen, zusammengefaßt für den Religionsunterricht), (d) Legenden (Heiligenerzählungen, z.B. über die Kindheit Jesu), (e) Mythen (z.B. die Versuchung Jesu in der Wüste; Jesu Verklärung) und (f) Leidensgeschichten. Ohne dafür historische Beweise zu haben, erfand Dibelius einfach folgende christlichen Arbeiter, die alle ihre eigenen Überlieferungen entwickelt haben sollen: Prediger, Erzähler und Lehrer.

3. R. Bultmann (1919) leugnete im Gegensatz zu Dibelius die wesentliche Historizität der Überlieferung (bis auf einzelne »Worte«) und schrieb sie ganz den Erfindungen der Urgemeinde zu. Bultmanns tiefwurzelnde Vorurteile stammen von der historischen Kritik (A. Harnack), dem Existentialismus (M. Heidegger) und der vergleichenden Religionswissenschaft (R. Reitzenstein, W. Bousset) und machten es ihm vollkommen unmöglich, die Evangelien historisch auch nur einigermaßen ernst zu nehmen; er konnte sie nur als  Ergebnisse einer phantasiereichen Gemeindetheologie betrachten. Bultmann unterschied folgende Formen: (a) Apophthegmen (etwa identisch mit Dibelius' Paradigmen), (b) Wundergeschichten, (c) Legenden (zu denen er auch die Mythen rechnete) und (d) »Wörter«; diese teilte er wie folgt auf: Weisheitswörter (Sprüche), »Ich«-Wörter (von der Gemeinde erfundene Aussagen von Jesus über sich selbst), prophetische und apokalyptische Aussagen, Gesetze und Vorschriften und schließlich Gleichnisse, von ihm ebenfalls alle als »unecht« angesehen. Das einzige, was Bultmann noch als authentisch anerkannte, waren etwa vierzig »Wörter« und die Tatsache, daß Jesus gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. Alles übrige sei von der Gemeinde bearbeitet oder erfunden.
Das mag uns erschütternd scheinen, aber für Bultmann ist es das nicht, weil er auf Grund philosophischer Vorurteile schon längst eine mögliche Verbindung zwischen Historie und Glauben verworfen hatte. Er glaubte auf der einen Seite, daß der historische Jesus (wer immer das auch gewesen sein mag) schon seit mehr als 1900 Jahren tot ist und predigte auf der anderen Seite, daß die Essenz des Christentums die »existentielle Begegnung mit Christus« ist. Was er aber nicht erklärt, ist, wie denn nun die Urgemeinde ihre Phantasie hat walten lassen können: (a) in solch einer kurzen Zeit (bis zu den ersten geschriebenen Quellen), (b) angesichts so vieler kritischer Augenzeugen von Jesu Leben und Sterben, die zu der Zeit noch lebten, (c) trotz der Aufmerksamkeit der Urchristen für die Tatsachen, der großen Gelehrtheit vieler unter ihnen (siehe Paulus!), ihrer hohen Integrität und ihres moralischen Lebensstandards (siehe unten).

4. E. Käsemann (1954) rief zusammen mit G. Bornkamm (1956), E. Fuchs (1957) und J. M. Robinson (1959) als Reaktion auf Bultmanns tiefen historischen Skeptizismus eine neue Bewegung hervor. Sie forschten weiter nach historischen Aussagen und Taten Jesu in den Evangelien, schafften es aber nicht mehr, eine Verbindung zwischen dem historischen Jesus und dem Kerygma (der Christusverkündigung) der Urgemeinde zu finden.

5. Die englischen Formkritiker B. S. Easton (1928), V. Taylor (1935) und E. B. Redlich (1939) studierten ebenfalls literarische Formen in den Evangelien, aber sie verwarfen den historischen Skeptizismus Bultmanns und beschränkten sich auf eine reine Literarkritik. Sie erkannten richtig, daß das reine Studium der Formen keine einzige Aussage über eine historische Glaubwürdigkeit machen kann. Taylor und Redlich verwarfen dann auch Klassifizierungen wie »Legenden« und »Mythen«, weil sich diese Definitionen nicht auf literarische Formen gründeten, sondern auf den Inhalt.


f) Spätere Entwicklungen

1. Es ist selbstverständlich, daß das, was mit den Evangelien begonnen hatte, sich allmählich auch auf das ganze Neue Testament ausbreitete. M. Dibelius (1956) und E. Haenchen (1961) wandten die Formkritik auf die Apostelgeschichte an, andere suchten nach literarischen Formen (Bruchstücken alter Kirchenriten und Liturgien) in den Briefen und der Offenbarung und versuchten, auch dafür den »Sitz im Leben« zu bestimmen. E. Lohmeyer (1956) stimulierte diese Forschung, weil er meinte, in Philipper 2 eine »Christushymne« entdeckt zu haben.

2. Nachdem die Formkritiker die Gemeindetheologie so sehr betont hatten, fing man an, sich für die theologischen Ansichten der Evangelisten selber zu interessieren. Nach der formhistorischen entstand so die redaktions-historische Schule (Redaktionsgeschichte), und zwar mit den Werken H. Conzelmanns über Lukas und W. Marxsens (1959) über Markus. Neben dem »Sitz im Leben« im Leben Jesu selber und dem »Sitz im Leben« der Urgemeinde unterschied man nun auch den »Sitz im Leben« bei den eigentlichen Evangelisten, von denen jeder (anders als bei der Gemeinde- theologie) mit eigenem Ziel und Bedürfnis das Material redigiert und zusammengestellt habe. Übrigens könne man diesen letzten »Sitz im Leben« nur über die »Entdeckungen« kennenlernen, die man über den »Sitz im Leben« der Urgemeinden und der weitgehenden Heilsgeschichte gemacht habe. Demnach (so behauptet Marxsen) sei Markus derjenige, der Jesu Wiederkunft sofort erwartete und darum sein Evangelium (in galiläischer Umgebung, bei Ausbruch des jüdischen Krieges) als eine Art Predigt schrieb, um so der Gemeinde in Judäa zu raten, nach Galiläa zu flüchten und dort die Wiederkunft Christi zu erwarten. Dagegen habe nach Conzelmann Lukas (der u.a. das Material von Markus auf seine Weise verarbeitete) sein Evangelium in einer Zeit geschrieben, als die Erwartung der baldigen Wiederkunft Jesu vorüber war und die Gemeinde anfangen mußte, sich der Aufgabe und Berufung hier auf Erden zu stellen. Auf die gleiche Weise behandelten G. Bornkamm, G. Barth und H. J. Held (1960) wie auch P. Bonnard (1963) das Matthäusevangelium und E. Haenchen (1961) die Apostelgeschichte. Diesen Theorien einer »Gemeinde-Theologie« und einer »individuellen Theologie der neutestamentlichen Verfasser« begegnen wir mit denselben Einwänden wie gegen die Formkritik. Das Ganze würde uns sonst noch mehr von den ursprünglichen historischen Tatsachen entfernen...

3. Im 20. Jhdt. ist die Theologie des Neuen Testaments dermaßen mit den historisch-kritischen »Ergebnissen« verwoben, daß sie das ganze Neue Testament nur noch durch die Brille enger Vorurteile betrachtet. Neben der Frage der Redaktionshistorik (wie jedes einzelne Buch seine Form bekommen haben könnte) kommt jetzt auch noch die Frage auf, welche Faktoren in der fortlaufenden Heilsgeschichte die Zusammenstellung des ganzen Neuen Testaments bestimmt haben könnten. Welche verbindenden Prinzipien, welche Tendenzen kann man in diesem Zusammenstellungsprozeß (eigentlich einer Art »Makro-Redaktionsgeschichte«) entdecken? R. Bultmann (1953) und 0. Cullmann (1946,1965) haben auf diesem Gebiet maßgebliche Arbeit geleistet; hauptsächlich Bultmann, indem er Heideggers Existentialismus anwandte. Außerdem entwickelte er analog mit der Kritik am Alten Testament (Kapitel 7) eine neue Art neutestamentlicher Hermeneutik (Lehre der Auslegung), die stark gefärbt war von den neuen philosophischen »Erkenntnissen«; in den sechziger Jahren haben vor allem E. Fuchs und G. Epeling diese Arbeit fortgesetzt.


g) Allgemeine Einwände gegen die Kritik am Neuen Testament

Man kann gegen die neutestamentliche Kritik teilweise dieselben fundamentalen Einwände anführen wie gegen die alttestamentliche (vgl. oben), z.B.:

1. Westliche Prätention (Anspruch, Anmaßung): die Vermessenheit, mit der man sich ein Urteil über vermeintliche »literarische Formen« in Schriften erlaubte, die aus einer anderen Zeit und Kultur stammen.

2. Keine objektiven Beweise. Es gibt nicht den geringsten Beweis für einen Ur-Markus oder Quellen wie Q, M und L (siehe oben); noch weniger Beweise gibt es für »Perikopen«, die das Produkt der Gemeindetheologie sein sollen, aber kaum etwas mit dem historischen Jesus zu tun haben; im Gegenteil: Da, wo etwas aus der Überlieferung über die Entstehung der Evangelien bekannt ist, werden solche Angaben von den Kritikern einfach zur Seite geschoben.

3. Desintegrierende Behandlung. Man hat kein Auge für die wunderbare spezifische Einheit eines jeden Evangeliums; man will behaupten, daß der uniforme Sprachgebrauch von Johannes den Gebrauch von Quellen ausschließt, aber man wendet diese Regel nicht auf die »Synoptiker« an.

4. Kreisdenken. Dieses findet man (a) in der Behandlung des gesamten Neuen Testaments: Aufgrund von einigen herausgegriffenen Büchern der Bibel macht man sich nach subjektiven Kriterien ein Bild von der ältesten Kirchengeschichte, um anschließend wegen dieser Bilder die übrigen neutestamentlichen Bücher als nichthistorisch zu verwerfen, (b) Auch in der Behandlung einzelner Bücher findet man dieses Kreisdenken: Anhand von Kriterien, die ebenfalls subjektiv sind, erklärt man bestimmte Fragmente (nach den angewandten Vorurteilen »traditionelle Elemente« genannt) als älter, wonach man die übrigen Stellen aufgrund dieses Bildes als Repräsentanten »späterer theologische Auffassungen« abstempelt! Wie angebracht unser Einwand ist, zeigt sich in der Willkür, mit der man bei solch einem Kreisdenken vorging, nämlich nach eigenem Geschmack und eigener Vorliebe. So werden die Evangelien abwechselnd dazu benutzt, sich gegenseitig unglaubwürdig zu machen, oder aber man gebrauchte beispielsweise den Brief an die Galater, um die historische Unglaubwürdigkeit der Apostelgeschichte aufzuzeigen und umgekehrt. Daß dieses geschehen kann, liegt einfach daran, daß objektive (also von dem Forscher unabhängige) Kriterien fehlen. Darum ist die kritische Methode als unwissenschaftlich anzusehen. Wäre sie wissenschaftlich, würden verschiedene Forscher, die anhand objektiver Kriterien dasselbe Material studierten, zu Resultaten kommen müssen, die im wesentlichen gleich sind; aber in der »Bibelkritik« gibt es beinahe ebensoviele und widersprüchliche Ergebnisse, wie es Forscher gibt.

5. Archäologie. Gegen das Argument der Formkritiker, daß die ersten Christen (und auch die neutestamentlichen Verfasser) im wesentlichen nicht an der Historizität der christlichen Glaubensfundamente interessiert waren, gibt es viele archäologische Einwände. So hat die Archäologie die außergewöhnliche Sorgfalt von Lukas als Historiker (in seinem Evangelium und in der Apostelgeschichte) aufgezeigt und damit bewiesen, wie sehr Lukas wirklich an einer historischen Glaubwürdigkeit seiner Schriften interessiert war. Ferner haben die Qumranrollen und die Cheneboskion-Papyri deutlich bewiesen, daß das Christentum unmöglich ein Produkt gnostizistischen Denkens (siehe oben) gewesen sein kann - etwas, das sich im Grunde schon durch die Schriften der Kirchenväter herausgestellt hatte; aber damit wollten die Kritiker sich ja nicht befassen.

6. Philosophischer Hintergrund. Auch hier ist es sehr wichtig zu erkennen, daß die Bibelkritik im Wesen nicht in objektiven Methoden und wissenschaftlichen Ergebnissen wurzelt, sondern in bestimmten philosophischen Vorurteilen, die für viele vielleicht glaubwürdig erscheinen mögen, aber darum noch lange nicht der Wahrheit entsprechen müssen. So schließt das rationalistische Vorurteil von vornherein die Möglichkeit übernatürlicher Wunder, göttlicher Offenbarung und Inspiration aus. So macht das »moderne wissenschaftliche Weltbild« (im Grunde eine wissenschaftlich anfechtbare, naturphilosophische Weltanschauung) von vornherein den Glauben an eine Jungfrauengeburt und eine leibliche Auferstehung Christi unmöglich. Nur so kann Bultmann auf Grund des Existentialismus, in dem er erzogen war, schon von vornherein eine Verbindung zwischen Historik und Glauben als nicht bestehend und nicht zur Sache gehörend verwerfen!


h) Spezielle Einwände gegen die Formkritik

Die formhistorische Methode ist darum Dreh- und Angelpunkt der neutestamentlichen Kritik, weil sie einerseits die frühe Quellenscheidungstheorie vertieft hat und andererseits die Basis der späteren redaktionell-historischen Methode bildet. Darum wollen wir nun auch vornehmlich die Formkritik näher untersuchen. E. B. Redlich (1939) hat die Ausgangspunkte (Vorurteile) radikaler Formkritiker folgen dermaßen zusammengefaßt:

1. Bevor die Evangelien geschrieben wurden, habe es eine Zeit der mündlichen Überlieferung gegeben.

2. Während dieser Periode seien die Geschichten und »Wörter« (außer der Leidensgeschichte) als einzelne, komplette Bücher, »Perikopen« genannt, zirkuliert.

3. Das Material in den Evangelien könne nach literarischen Formen klassifiziert werden.

4. Die lebendigen Faktoren, die diese Formen produzierten und bewahrten, müßten in den praktischen Belangen der christlichen Gemeinschaft gefunden werden.

5. Die Gemeinschaft habe kein biographisches Interesse gehabt, so daß die Evangelien keinen biographischen, chronologischen oder geographischen Wert haben.

6. Die ursprüngliche Form der Überlieferungen könne durch das Studium der Gesetzmäßigkeiten der Überlieferung rekonstruiert werden.
 

Wir wollen nun in derselben Reihenfolge auf jedes der genannten Vorurteile eingehen:

1. Zwischen dem Anfang der Gemeinde und dem Niederschreiben der Evangelien gab es eine Periode »mündlicher Überlieferung«, aber diese dauerte nicht länger als 15-20 Jahre, also weniger als eine Generation. Es ist realitätsfern, anzunehmen, daß die »Überlieferung«, die Jesus betrifft, in dieser kurzen Zeit verändert worden sei. Denn bei Niederschrift der Evangelien lebten noch Tausende von Augenzeugen des Lebens und des Sterbens Jesu. Von den Kritikern werden diese Ergebnisse der historischen Forschung aber nicht beachtet, da ihre Theorien nach wie vor auf den Annahmen antichristlicher Ideologien vor Beginn der modernen Archäologie beruhen.
Aber gerade die bei Abfassung der Schriften lebenden Augenzeugen, besonders wenn sie Christen waren, garantierten die Genauigkeit der Überlieferung, und wenn es Feinde des Christentums waren, wären sie ja die Ersten gewesen, die über jede Abweichung von wirklichen Tatsachen ihren Spott getrieben hätten. Die Apostelgeschichte zeigt uns, wie die ersten Christen und vor allem die Apostel mit größter Sorgfalt die Worte und Taten Christi bewahrten und sich sogar oft gerade darauf beriefen, Augenzeugen gewesen zu sein. Sie waren Juden, die als solche in sorgfältiger Überlieferung geübt waren, wie auch im wortwörtlichen Behalten des Unterrichts ihrer Rabbiner; sie werden die Worte Christi auch bei ihren Zusammenkünften immer wiederholt haben. Die Kritiker vergessen nicht nur die kurze Dauer der mündlichen Phase und die Rolle der vielen Augenzeugen, einschließlich der mit Autorität versehenen Apostel, sondern aus der Position ihres Unglaubens heraus können sie das Wirken des Heiligen Geistes nicht sehen, durch den die Gemeinden entstanden waren.

2. Es gibt keinen Grund dafür, anzunehmen, daß wohl die »Perikopen« nicht aber die Reihenfolge und der Zusammenhang der Geschehnisse (wie namentlich in Markus) getreu überliefert sein sollten. Die Evangelien machen auch bestimmt nicht den Eindruck, als ob sie lose Sammlungen von Fragmenten seien. Im Gegenteil, ihre bemerkenswerte Einheit in Stil und Zusammenhang, ohne interne Widersprüche, vermitteln uns genau das umgekehrte Bild.

3. Natürlich ist eine Klassifizierung in »literarische Formen« in solch vielseitigen Werken, wie es die Evangelien sind, im Prinzip immer möglich; aber diese Möglichkeit ist kein Beweis, daß demnach ursprünglich verschiedene Kategorien der Überlieferung vorhanden waren. Die vielen Probleme, die bei der Klassifizierung auftreten, weisen eher darauf hin, daß dies gerade nicht der Fall ist. Jeder Kritiker benutzt sein eigenes Einteilungssystem und seine eigenen »Formarten«; die Ergebnisse der Kritiker widersprechen einander zum Teil diametral. Hier wird erkennbar, daß sie nicht von objektiven Kriterien ausgehen.
Noch abwegiger ist, daß sich die Kritiker anmaßen, aus der »Form« einer »Perikope« Schlußfolgerungen über ihren historischen Wert zu ziehen. Diese Methode ist schon in sich ein Kreisdenken, weil sie selber jeder »Perikope« ihre »Form« auferlegt haben, oft mit subjektiv gefärbten Bezeichnungen wie »Legenden« oder »Mythen«. Diese Bezeichnungen werden aufgrund des Inhalts vergeben - es sind also keine objektiven, sondern ausschließlich ideologische Kriterien, nach denen der Text bewertet wird.

4. Es ist besonders wegen des hohen moralischen Maßstabs der Urgemeinde und des Vorhandenseins zahlloser Augenzeugen und bevollmächtigter Apostel vollkommen absurd, anzunehmen, daß innerhalb von 20 Jahren die wirklichen Tatsachen um Jesu Leben und Werk durch Erfindungen der sogenannten »formgebenden« Gemeinde ersetzt wurden.

Erstens tragen die einfachen, unromantischen Geschichten in den Evangelien den Stempel authentischer Geschichtsschreibung und nicht die Merkmale literarischer Kunstprodukte oder eines späteren Hineininterpretierens, und zweitens geben die Evangelien uns überhaupt keine Hinweise auf die Probleme der Urgemeinden (wie die Formkritiker behaupten). Wenn jemand über interne Probleme gesprochen hat, war es Paulus, der die meisten seiner Briefe schon geschrieben hatte, bevor Lukas und Johannes geschrieben wurden. Trotzdem wird keine seiner Aussagen in den Evangelien Jesus in den Mund gelegt; im Gegenteil, bestimmte Elemente aus den Evangelien (z.B. Gleichnisse) kommen nie in den Briefen vor.

Die Urgemeinde war nicht eine Gesellschaft einfacher, ungeschulter Leute, die treuherzig und unkritisch eine Art Folklore aufbauten (wie es die Formkritiker darzustellen versuchen), sondern zu ihr gehörten im Gegenteil begabte Leute wie Philippus, Stephanus, Barnabas, Jakobus, Markus, Lukas und Paulus, deren Schriften zu den Glanzstücken der Weltliteratur gehören. Durch das Vorhandensein der Augenzeugen hat die Urgemeinde niemals Raum gehabt für eigene »Hirngespinste« und war in jeder Phase dem Wort Gottes unterstellt. Kreativität findet man im übrigen nie bei einer Masse, sondern stets nur bei individuellen Personen, die über die Masse hinausragen; darum tragen Form und Inhalt der Überlieferung den Stempel Christi (des Lehrers), nicht den der Gemeinde (Schüler). Kein Apostel würde jemals imstande gewesen sein, die »Worte Jesu« selber auszudenken oder dessen Leben und Charakter, wie in den Evangelien beschrieben, zusammenzuphantasieren. Die Einheit der Evangelien gründet sich also auf die Einzigartigkeit der Person Jesu Christi und nicht auf die der Gemeinde. Die Urchristen würden auch nicht bereit gewesen sein, für das Produkt ihrer eigenen Einbildung zu sterben; sie waren aber wohl bereit, für ihre Botschaft zu sterben, weil sie wußten, daß sie authentisch war. Es ist eigentlich verwunderlich, daß die Formkritiker der »Einbildungskraft« der Gemeinden soviel mehr beimessen als dem, der schließlich die Gemeinde gründete...
Die ersten Christen waren nicht so erfüllt von der bevorstehenden Wiederkunft Jesu, daß sie nicht rational und historisch denken konnten (wie es die Formkritiker darstellen); wir ersehen aus der Apostelgeschichte und den Briefen, daß sie ein normales, arbeitsames Leben führten und dazu auch angehalten wurden. Im übrigen: Wenn der christliche Glaube die »historischen Tatsachen um Jesus« schuf, was schuf dann wohl den christlichen Glauben?

5. Wenn schon die erste Generation der Christen nicht an bio- und geographischen und chronologischen Einzelheiten interessiert war, warum fragte die zweite Generation dann wohl nach einer fortlaufenden Geschichte von Christus (also auch nach dieser Art Einzelheiten), wie wir sie in den Evangelien finden? Die Tatsache, daß die Evangelisten keine strikten Biographien schrieben (weil sie ein anderes Ziel anstrebten), bedeutet noch lange nicht, daß sie damit nicht an biographischen Einzelheiten interessiert oder historisch unglaubwürdig waren. Sie verfügten über eine enorme Menge dieser Art Informationen (siehe
Johannes 21,25) und bauschten auch nicht einzelne kleine Tatsachen zu einem phantasiereichen Kunstprodukt auf, sondern suchten (umgekehrt!) gerade aus der Menge der Erinnerungen, ein bestimmtes (historisch glaubwürdiges) Bild von Christus wiederzugeben.

Warum sollten die ersten Christen fortwährend betont haben, daß sie Augenzeugen von Jesu Leben und Werk waren, wenn sie kein biographisches und chronologisches Interesse an seiner Person hatten? Lukas (1,1-4) beruft sich ja ausdrücklich auf Augenzeugen und sein Verlangen, gerade diese spezielle Art Information getreu weiterzugeben. Die Archäologie (siehe oben) hat in vielfacher Hinsicht gezeigt, wie vortrefflich ihm das gelungen ist. Markus berichtet in seinem Evangelium über viele geographische, biographische und chronologische Einzelheiten, die innerhalb seiner Geschichte nicht zu erklären wären, wenn sie nicht in der Tat auf glaubwürdige Überlieferungen zurückzuführen wären. Daß Matthäus und Lukas manches Mal absichtlich das Material von Markus in einer anderen Reihenfolge wiedergeben, geschieht nicht deshalb, weil sie eine andere historische Meinung als Markus vertraten, sondern einfach deshalb, weil eine bestimmte Rangordnung nach Themen dem Ziel, das jeder ganz speziell für sich hatte, besser diente.

6. Im Gegensatz zu dem, was die Formkritiker behaupten, zeigen Forschungen über Erinnerungsprozesse und Gerüchteverbreitung, daß die allgemeine Form einer Geschichte intakt bleibt, daß aber die Geschichte immer kürzer wird und immer mehr Details verliert. Die vielen kleinen Details in den Evangelien weisen darauf hin, daß sie mit Augenzeugenberichten vergleichbar sind, also mit »Informationen aus erster Hand«.


i) Schlußfolgerung

Es gibt in der ganzen Weltgeschichte keine historische Person, die so auf »Historizität« angegriffen wird wie Jesus von Nazareth. Man kann schwerlich behaupten, daß dies unparteiisch und aufgrund objektiver Anhaltspunkte geschehen sei. Vielmehr steckt hinter all diesen Theorien eine inhaltliche Ablehnung des wahren historischen Jesus, den die Bibel bezeugt.

Nur allzu oft haben die Formkritiker ihre Methoden mit ihrer persönlichen Meinung über den historischen Wert einer Geschichte oder Aussage in den Evangelien vermischt. Die moderne Bibelkritik hat bewiesen, daß sie nicht das Produkt gläubiger Forscher ist, die ein besseres Verständnis von der Bibel als dem autoritativen, inspirierten Wort Gottes in seinem historischen Rahmen anstrebten, sondern das Produkt von Rationalisten, die schon von vornherein den eigenen ausdrücklichen Anspruch der Bibel, Gottes Wort zu sein, verwarfen. Aufgrund ihrer Vorurteile konnten sie gar nichts anderes erkennen als ein unvollkommenes Menschenwerk.

Tatsache ist jedoch, daß die methodischen Ausgangspunkte der Bibelkritiker schon rein rational gesehen ungültig oder inakzeptabel sind (wie wir gerade ausführten). Bedauerlich ist nur, daß die Kritiker nicht die einzige Konsequenz aus ihren weltanschaulichen Vorurteilen ziehen und dem Christentum ganz einfach »Lebewohl« zu sagen. Stattdessen wollen sie die Bibel gleichzeitig als ein Buch ansehen, in dem auf die eine oder andere Weise auch Gott zu Wort kommt. Deshalb sind ihre Behauptungen nicht nur wissenschaftlich absurd (das ist noch nicht einmal das Wichtigste), sondern sie haben auch innerhalb der Christenheit durch ihren irreführenden »Glauben des doppelten Bodens« enorm viel Unheil angerichtet. Von daher leitet sich die äußerst dringende Notwendigkeit ab, aufs neue vor Augen zu halten, daß auch heute kein Grund vorhanden ist, die Glaubwürdigkeit der Bibel anzuzweifeln. Im Gegenteil!

Aufgrund der Ergebnisse der modernen Archäologie, der Text- und Sprachforschung - die ausnahmslos die Glaubwürdigkeit der Bibel bestätigt haben - haben wir heute mehr Grund denn je, daran festzuhalten, daß die Bibel wahrhaftig und glaubwürdig ist.

Der vorstehende Text entstammt im wesentlichen dem Buch
”Wie entstand die Bibel?” von W.J.J. Glashouwer.



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